Sympathischer Sozialdarwinismus

Stehe irgendwie immer noch unter dem Eindruck der diesjährigen Gamescom, insbesondere von meinen Virtual-Reality-Kämpfen. Erst bin ich mit VR-Brille gegen putzig animierte Skelette angetreten und dann gegen endlose Horden von ziemlich realistisch aussehenden Untoten. Kampf und Krieg sind wie immer die Hauptmotive auf der weltgrößten Computerspielmesse, auch im Zombiemodus von Minecraft, das keinesfalls einfach eine harmlose digitale Variante von Lego ist. Gleich zwei Spielehersteller werben mit dem Slogan „Total War“. Und die Bundeswehr versucht auf ihrem Stand mit Shootern für Nachwuchs zu sorgen. – Aber ich möchte ja Computerspiele nicht verteufeln und immer nur die Aggressionspotentiale darin ausmachen, will vielmehr die dahingehende Dichotomie von Gut und Böse endlich aufbrechen. Und vor allem will ich nicht immer gleich alles bewerten. Sympathischer Sozialdarwinismus weiterlesen

Psychoprothese Smartphone

Sie sind smart, sie sind irgendwie phony und sie haben uns charmant im Griff. Smartphones sind längst zu klettenhaften Gefährten geworden, mit denen uns eine Hass-Liebe verbindet. Ohne sie fühlen wir uns als Singles einsam. Und in der Partnerschaft sind sie eine Quelle der Eifersucht. Alle kennen das irritierende Gefühl, wenn das Smartphone des Anderen alle Aufmerksamkeit von einem abzieht. Die Dinger haben längst eine Art Personen(kult)status erlangt. Wenn nun zu uns flüchtende oder in die USA reisende Menschen – denen es ja aus unterschiedlichen Gründen nicht gut gehen kann – ihre Smartphones abgeben sollen, stellt sich die Frage, wen oder was Sie da abgeben? – Auf diese Frage könnte man als möglichen psychologischen Erklärungsmodelle anwenden. Psychoprothese Smartphone weiterlesen

Lesen und Schreiben

Ich lese viel zu wenig und schreibe vielleicht viel zu viel. Als könnte man das bisschen, was man liest, auch gleich selber schreiben. Nun schreibe ich wirklich gern. Jede Woche oder zumindest viermal im Monat wollte ich in diesem Jahr eine Kolumne herausbringen. Es hat mir Freude bereitet, wie meine Gedanken und Beobachtungen im Alltag von dieser Aufgabe beeinflusst wurden. Aber es war auch Ein Stress. Am Ende sind es durchschnittlich drei Texte pro Monat geworden. 36 reichen, finde ich. Ob ich gut schreibe, steht auf einem anderen Blatt. Ich freue mich über jede Rückmeldung. Trotz der vielfältigen Möglichkeiten des Internets habe ich jedoch keine Ahnung, wie viele Menschen meine Kolumne wirklich lesen und etwas damit anfangen können, was mich nicht davon abhält, mich fast täglich von der digitalen Aufmerksamkeitsökonomie verführen zu lassen. Kein Wunder, auch ich gehöre zu den Attention-Junkies, den Rampensäuen des Internetzeitalters. Lesen und Schreiben weiterlesen

Sich zu trauern trauen

Als sich vor kurzem der letzte der vielen großen Terroranschläge in der Türkei ereignete, war ich nicht nur entsetzt über die Tat sondern auch über die Reaktionen in Deutschland. Anstatt zunächst einmal Mitgefühl zu empfinden und zu zeigen, schienen Politik, Medien und Öffentlichkeit als erstes daran zu denken, welche Folgen das beim reaktionären Machthaber Erdogan und seinen Gefolgsleuten haben könnte. Anstatt niedergeschlagen zu sein über die menschlichen Verluste, wird als erstes daran gedacht, wer als Reaktion auf diese unmenschlichen Taten andere niederschlagen wird. Dass erst einmal die Trauer eine Zeit und einen Raum braucht, dass es vielleicht nicht gut ist, gleich zu reagieren, das kommt kaum jemanden in den Sinn, weder dem türkischem Machthaber noch seinen Kritikern. Die Unfähigkeit zu Trauern, wie Margarete und Alexander Mitscherlich es formulierten, ist brandgefährlich. Gleich zu handeln, um Trauer nicht ertragen zu müssen und sie zu instrumentalisieren, führt nicht selten zu Gewalt und neuem Leid. Das gilt auch für diejenigen, die nur die Vergeltungsmaßnahmen und gar nicht die Verzweiflung über das Geschehene sehen. Ich kann mir vorstellen, dass dies die deutsch-türkische Bevölkerung in Deutschland und in der Türkei als herzlos und empörend empfinden. Sich zu trauern trauen weiterlesen

Pluralismus zum Diktat bitte

Der Wunsch, dass es keine Unterschiede zwischen den Menschen geben möge, ist ein sehr frommer Wunsch. Das ist genau das Problem, wenn der Pluralismus über’s Ziel hinauszuschießen droht. Zum Beispiel wenn man dafür angegriffen wird, weil man eine Sekunde zu lange auf ein händchenhaltendes lesbisches Paar geschaut hat, weil man das so selten sieht. Menschen mit anderer Hautfarbe, mit Verschleierung, im Rollstuhl, mit Verbrennungsnarben im Gesicht, ein Mann in Frauenkleidern, auch ich schaue da länger hin, weil es nicht im engeren Sinne dem entspricht, was ich zu sehen gewohnt bin. Wenn ich in einer solchen Situation zu lange hinschaue, empfinde ich so etwas wie Scham. Einen Moment später denke ich dann aber, dass es nur eine Lösung gibt, gut damit umzugehen, den Menschen in die Augen zu schauen, sie freundlich anzulächeln und bestenfalls zu grüßen oder gar anzusprechen, wenn es die Situation erlaubt. Vielleicht es an der Zeit, nicht nur etwas gegen den Feindseligkeit sondern auch etwas für die Freundlichkeit zu tun. Pluralismus zum Diktat bitte weiterlesen

Dumm gelaufen

Bedauerlicherweise hat auch der jüngste Wahlausgang in den USA viel mit dem zu tun, was in der globalen Medienlandschaft derzeit so alles schief läuft. Klar, es ging dabei auch um Ängste vor der Globalisierung (die nicht zuletzt ein Produkt der Digitalisierung ist) und die sich vergrößernde Schere zwischen Arm und Reich durch den Neoliberalismus (der nicht zuletzt vom Silicon Valley seinen Ausgang genommen hat). Aber die jüngste Medien-Wahlschlacht und das sinkende Niveau der politischen Kommunikation, sie sind ein Ausdruck eines Populismus, der sich aus einer sich umfassend verändernden Medienlandschaft speist. Hier hat keine Schwarmintelligenz der Demokratie unter die Arme gegriffen, wie wir sie dem Internet zuschrieben. Das ist schwarmdumm gelaufen. Dumm gelaufen weiterlesen

Vermessung der Gefühle

Es klingt vermessen, die Gefühle vermessen zu wollen, aber genau das geschieht gerade im Netz in ganz großem Stil. Zumindest wird es versucht. Nachdem die sogenannte künstliche Intelligenz sich des Denkens ziemlich erfolgreich bemächtigt hat, ist jetzt unser Fühlen angezählt. Computer sollen immer besser berechnen und einschätzen können, wie wir uns gerade fühlen, und können darauf entsprechend reagieren: Es gibt Smartphone-Apps, die aus mündlichen Wortbeiträgen nicht nur linguistisch sondern auch phonetisch den Stimmungsverlauf einer Unterhaltung einschätzen können. Kollegen, die eine App zur Selbstreflexion der eigenen Smartphonenutzung entwickelt haben, berichten mir, dass sie unabhängig von den Inhalten mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit über Kommunikationsverhalten, Bewegungsprofile und Schlafmuster erkennen können, ob jemand depressiv ist oder nicht. Mit Hilfe von Webcams, die auf unser Gesicht gerichtet sind, was ja die meiste Zeit des Tages der Fall ist – bitte lächeln Sie doch gerade mal kurz oben in die Kamera – können Gesichtsausdrücke und damit Gefühlszustände abgelesen werden. Vermessung der Gefühle weiterlesen

Kloster in mir

Heute ist Sonntag, die Ausnahme von der Regel einer in der Regel arbeitsreichen Woche. Ich halte mir den Sonntag gerne schon mal frei von digitalen Medien. Aber vielleicht liegt das einfach nur daran, dass ich mit Computern vor allem Arbeit verbinde und mich nicht gut genug darauf verstehe, es mir auch im Netz schön zu machen. Was für die Woche der Sonntag, ist mir für das Jahr eine Woche Auszeit im Kloster. Damit habe ich schon vor über zwanzig Jahren begonnen, zu einer Zeit als ich noch gar kein mobiles digitales Endgerät mein eigen nannte. Die kostbare Zeit dort ist mir nach wie vor lieber als Digital-Detox-Retreats.   Kloster in mir weiterlesen

Auch eine Entscheidung

Eine Online-Ambulanz für Online-Süchtige, das empfinden tatsächlich nicht wenige als eine Provokation. Das Schwarz-Weiß-Denken, ob es nun um die gute alte analoge und die schöne neue digitale Welt geht, oder um die scheinbare Unvereinbarkeit von Euphorie und Besorgniserregung angesichts der Virtualisierung des Alltagslebens, wir haben es wohl längst noch nicht überwunden. Auch eine Entscheidung weiterlesen