Es sind genau zehn Bildschirme, die vor mir schweben. Links außen eine schrottige Doku über echte Polizisten. Daneben quält Dieter Bohlen junge Leute, die unbedingt berühmt werden wollen. Auf dem dritten und fünften Schirm laufen Berichterstattungen über die Anschläge in Paris. Dazwischen Musikvideos. Dann irgendetwas über Bauern. Ich bleibe hängen bei einer Fernsehserie über sechs krebskranke Jugendliche. Daneben irgendeine Folge der Filmserie Die Tribute von Panem, bei denen sich zur Unterhaltung der Zuschauer jenseits und diesseits der Bildschirme zum wiederholten Male zwölf Jugendliche gegenseitig abschlachten müssen. Und daneben verliert eine deutsche Jugendnationalmannschaft im Fußball gegen Italien. Der schwarze Bildschirm, vor dem ich auf einem der 40 Trainingsgeräte auf der Stelle trete, ist wohl kaputt gegangen. Er zeigt „Kein Signal“ an. Den habe ich mir ausgesucht, möglichst weit weg von den Nachrichten. Es erscheint mir als pietätlos hier dabei zuzusehen. Vielleicht ist es ohnehin geschmacklos, an diesem Sonntag Sport zu treiben. Aber ich weise meinen Gedanken zurück, dass uns genau diese Dekadenz zu einem probaten Feindbild macht.

Was ist schon angemessen angesichts dieser Tragödie. Wenn wir uns zugestehen, dass auch wir von den Ereignissen tief getroffen sind, wenn es auch hier im weitesten Sinne um den Umgang mit dem Tod von vielen unschuldigen jungen Menschen geht, dann ist es vielleicht nachvollziehbar, dass wir zwischen verleugnendem Weitermachen und trauriger Gelähmtheit hin und her pendeln.

Vielleicht versuche ich es selbst zu verdrängen, wenn ich nicht allzu viel und genau hinschauen mag. Ab und zu ein seriöses Nachrichtenportal, einmal am Tag die Nachrichten im Fernsehen, ansonsten vor allem Radio, Tages- und Wochenzeitung scheint mir genug. Erst wenn ich vor einem schwarzen Bildschirm zurückbleibe, wird mir das Ausmaß des Gesehenen, des Geschehenen und mein Gemütszustand wirklich bewusst. Und ich bilde mir ein, dass ich damit eher ins Handeln komme. In erster Linie um in meinem Alltag das zu tun, was ich vielleicht gut kann und was hoffentlich anderen Menschen zugute kommt. Im Zweifelsfall auch als Bürger, im besten Fall als Helfer, auf jeden Fall aber als jemand, der sein Denken und Handeln auch als politisch begreifen möchte. Wirklich etwas getan habe ich allerdings herzlich wenig.

Wer jedoch sein Mitgefühl übergeht, läuft Gefahr, dass die Wut und die Angst das Handeln dominiert. Auch das kann gefährlich sein. Was ich aber eben auf keinen Fall will, ist, mich einer falschen Betroffenheit hinzugeben. Mich in Fernsehen und Netz stundenlang bildreich und emotional aufheizen lassen, ist mir zutiefst zuwider. Ich hätte die Sorge, meine Zeit zu vergeuden, mich am Ende noch mehr um mich selbst zu drehen als ohnehin schon, vor allem nicht klar denken und beherzt handeln zu können.

Noch mehr als an der Betroffenheitskultur störe ich mich am zunehmenden Befindlichkeitsgewese. Und jetzt bin ich mir gerade mehr als unsicher, ob ich nicht gerade genau diesen erlegen bin, ob „kein Signal“ nicht tatsächlich besser gewesen wäre als das hier. – Ich habe Angst und Wut, vor allem aber ich bin traurig. Als ich einmal persönlichen Grund zu tiefer Trauer hatte, schrieb mir jemand folgende Worte: „Schweigen versagt. Worte versagen.“ Das half.

Bert te Wildt©