Wenn ich einen Vortrag halte, nutze ich wie die meisten oft ein Präsentationsprogramm. Die Zuhörer werden dabei immer mehr zu Zuschauern, wenn ich mit meiner Aufmerksamkeit zwischen Projektion und Publikum hin und her pendle. Wenn jemand dabei auf sein Smartphone schaut, muss ich mich nicht wundern, geschweige denn ärgern. Vielleicht sucht sie oder er ja dann gerade nach Zusatzinformationen, die ich nicht mitgeliefert habe. Die schönsten Erfahrungen mache ich als Referent aber in ungeteilter Aufmerksamkeit, wenn ich mich traue frei und ohne Präsentation oder Manuskript zu sprechen. Schaue ich Zuhörern direkt in die Augen, wenn ich versuche, ihnen etwas zu vermitteln, entsteht so etwas wie Nähe. Das scheint eine seltene Erfahrung geworden zu sein.

Eltern beklagen sich immer mehr darüber, dass ihre Kinder kaum noch einer Sache kontinuierlich folgen können, ohne dabei immer wieder von ihren Smartphones unterbrochen zu werden, die penetrant quängelnd um ihre Aufmerksamkeit buhlen. Eine Mutter aus meinem Freundeskreis sagte mir einmal, dass für sie heute der Umgang mit Computerspielen und Sozialen Netzwerken die schwierigste Erziehungsaufgabe darstelle und bisweilen den letzten Nerv raube. Allenthalben wird über die digitale Maßlosigkeit der Heranwachsenden geklagt.Allerdings gilt das auch mit umgekehrten Vorzeichen.

Eine neue Studie hat gezeigt, dass immer mehr Kinder und Jugendliche darunter leiden, dass ihre Erziehungsberechtigten ständig online sind und ihnen nicht genug Aufmerksamkeit schenken würden. Hier geht es nicht um internetabhängige Eltern, die ihre Kinder verhungern lassen, auch wenn das tatsächlich schon vorgekommen ist. Es geht mir auch nicht in erster Linie um Erwachsene, die schlechte Vorbilder sind. Sondern es geht darum, dass die Eltern-Kind-Beziehung auch von Elternseite aus leiden kann, wenn sich in jede familiäre Situation ein wie auch immer gearteter Computer einmischt, wenn sich zwischen fast jede Begegnung ein Bildschirmmedium schiebt. Die mobilen Endgeräte wie Smartphones und Tablets sorgen dafür, dass wir permanent mit einem Fenster zur digitalen Welt ausgestattet sind. Und wir nutzen sie immer mehr, wenn wir mit Kindern etwas tun oder wenn wir mit ihnen auf etwas warten. Er erträgt noch eine Zugfahrt mit Kind ohne die Versorgung mit einem digitalen Babysitter? Wer schafft schon eine ganze Mahlzeit ohne den Blick auf’s Smartphone? Wer gibt noch die Flasche oder die Brust, ohne dabei medial irgendwie woanders zu sein? – Aus psychologischer Sicht können wir sicher sein, dass es einen Unterschied macht, ob ein Baby dabei unsere ungeteilte Aufmerksamkeit bekommt oder nicht, ob Mutter und Vater direkt in seine Augen blicken und unmittelbar auf seine Regungen reagieren, ob sie sich in seinen Augen spiegeln oder im Glanz eines Bildschirms. Wir wissen längst, dass es nicht nur für das Baby sondern auch für die Eltern selbst bis ins Hirn und seine Botenstoffe hinein einen Unterschied macht. Je jünger sie ist, desto mehr braucht die Eltern-Kind-Beziehung unmittelbare Blicke, Berührungen und Beschallungen, um eine gesunde Bindung und damit Bindungsfähigkeit entstehen zu lassen.

An dieser Stelle könnte der Satz kommen, den ich erstaunlich selten zu hören bekomme: Sie, Herr te Wildt, haben wohl keine eigenen Kinder. – Wenn ich bei anderen auf Kinder aufpasse oder Kinder zu Besuch sind, kann ich nachvollziehen, dass es nicht leicht ist, ein ganzes Wochenende ohne digitale Medien zu gestalten. Wenn alle Stricke und Nerven reißen, das weiß auch ich, hilft nichts so gut, wie ein Film, wobei es noch einen Unterschied macht, ob man mitschaut oder nicht. Stolz bin ich jedenfalls nicht darauf, wenn ich zu diesem Mittel greife. Schlimmer noch, manchmal wünsche ich mir, dass endlich mal wieder Kinderbesuch kommt, damit ich endlich einen Grund dafür habe, mir Shaun das Schaf anzuschauen.

 

Bert te Wildt©