Der Wunsch, dass es keine Unterschiede zwischen den Menschen geben möge, ist ein sehr frommer Wunsch. Das ist genau das Problem, wenn der Pluralismus über’s Ziel hinauszuschießen droht. Zum Beispiel wenn man dafür angegriffen wird, weil man eine Sekunde zu lange auf ein händchenhaltendes lesbisches Paar geschaut hat, weil man das so selten sieht. Menschen mit anderer Hautfarbe, mit Verschleierung, im Rollstuhl, mit Verbrennungsnarben im Gesicht, ein Mann in Frauenkleidern, auch ich schaue da länger hin, weil es nicht im engeren Sinne dem entspricht, was ich zu sehen gewohnt bin. Wenn ich in einer solchen Situation zu lange hinschaue, empfinde ich so etwas wie Scham. Einen Moment später denke ich dann aber, dass es nur eine Lösung gibt, gut damit umzugehen, den Menschen in die Augen zu schauen, sie freundlich anzulächeln und bestenfalls zu grüßen oder gar anzusprechen, wenn es die Situation erlaubt. Vielleicht es an der Zeit, nicht nur etwas gegen den Feindseligkeit sondern auch etwas für die Freundlichkeit zu tun.

Ich gehöre zu denjenigen, die entschieden gegen die Diktatur des Populismus eintreten möchten, allerdings erscheint mir auch ein Diktat des Pluralismus als problematisch. Ich fühle mich angegriffen, weil ich einem neuen Feindbild entspreche. Ich gehöre einer Randgruppe an und bin bereit für diese oder andere meine Stimme zu erheben. Ich verdiene sehr gut mit einem in weitestem Sinne sozialen Beruf. Ich kann es mir leisten, grün und linksliberal zu wählen, in der Hoffnung, dass unser Reichtum besser verteilt und unsere Umwelt besser geschützt wird. Und seit neuestem haben Angela Merkel und die christlichen Kirchen in Deutschland an Sympathie für mich gewonnen, weil sie zumindest im Vergleich zu vielen anderen Ländern im Hinblick auf die Asylpolitik ein nicht allzu schlechtes Bild abgeben. Ich bekenne mich zu Widersprüchlichkeiten und Ambivalenzen. Zwar nehme ich nicht an, dass es zu Recht geschieht, wenn man Menschen wie mir eine prinzipielle Verlogenheit zuschreibt. Allerdings muss ich mir vielleicht eine gewisse Selbstgerechtigkeit vorwerfen. Sicher bin ich mir da nicht.

Wenn Emanzipation, Inklusion und Integration von Menschen äußerst wichtig genommen wird, scheint das die vermeintliche Mehrheit abzuschrecken. Man braucht sich nur die Randgruppen anschauen, die keine sind, Menschen weiblichen Geschlechts oder mit ausländischen Wurzeln, um sich darüber im klaren zu werden, wie bescheuert diese Angst ist. Aber der rechte Rand drängt mit solchem Quatsch offensichtlich in die Mitte der Gesellschaft. Manchmal denke ich tatsächlich, dass Menschen die zu den sogenannten Randgruppen gehören, bisweilen etwas zu empfindlich reagieren und auch zu einer gewissen Gleichmacherei neigen. Die Debatten sind durchaus interessant und wichtig, manchmal aber auch bizarr ausufernd und überempfindlich. Die „Darf-man-das?“-Fragen werden für meine Begriffe viel zu häufig gestellt, wenn es darum geht, mit wem man überhaupt öffentlich diskutieren darf. Mit Burka-Trägerinnen oder AfD-PolitikerInnen sprechen? – Was für eine verrückte Idee!- Aus meiner Sicht darf und muss man mit den Vertretern des politischen Islam und der neuen Rechten diskutieren, auch und gerade im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Wenn wir nicht auf unsere Argumente und unsere demokratische Öffentlichkeit vertrauen, haben wir schon verloren. Ein guter Umgang mit Vielfalt ist vielfältig, und Gleichheit nicht immer gleich gut.

Bert te Wildt©