Sie sind smart, sie sind irgendwie phony und sie haben uns charmant im Griff. Smartphones sind längst zu klettenhaften Gefährten geworden, mit denen uns eine Hass-Liebe verbindet. Ohne sie fühlen wir uns als Singles einsam. Und in der Partnerschaft sind sie eine Quelle der Eifersucht. Alle kennen das irritierende Gefühl, wenn das Smartphone des Anderen alle Aufmerksamkeit von einem abzieht. Die Dinger haben längst eine Art Personen(kult)status erlangt. Wenn nun zu uns flüchtende oder in die USA reisende Menschen – denen es ja aus unterschiedlichen Gründen nicht gut gehen kann – ihre Smartphones abgeben sollen, stellt sich die Frage, wen oder was Sie da abgeben? – Auf diese Frage könnte man als möglichen psychologischen Erklärungsmodelle anwenden.

Selbstpsychologisch gesehen, könnte man das Smartphone als eine Art Spiegel unserer Seele sehen. Ich würde behaupten, dass ich aus den Inhalten eines Smartphones ziemlich viel herauslesen könnte. Vielmehr noch aber können die Algorhythmen in uns buchstäblich hineinlesen. Nach dem Tracking unserer Bewegungsradien stehen social tracking und der Einsatz von linguistischen Programmen, die auch emotionale Befindlichkeiten bis hin zu psychopathologischen Mustern aufspüren können, hoch im Kurs. Und wenn längst ganze Industrien damit beschäftigt sind, mit Hilfe dieser Technologien Hirnuploads von uns zu erstellen, um am Ende Bots als virtuelle Doppelgänger zu erschaffen, dann wird klar, dass wir es selbst sind, die wir aus der Hand geben.

Aber das Smartphone ist mehr als ein Selbstobjekt. Objektpsychologisch müssen wir zugeben, dass wir auch von Anderen wahnsinnig viele Daten an Konzerne und Einwanderungsbehörden abgeben, wenn wir durch Netz und Welt reisen. Ohne zu zaudern lassen auf unsere Kalender und Kontakte zugreifen. Und mit Hilfe von Gesichtserkennungssoftware zeigen unsere Bilder und Filme im Zweifelsfall der ganzen Welt, nicht nur wo sich unsere Freunde und Verwandten gerade aufhalten, sondern mehr noch alle, die gerade durchs Bild laufen. Das Smartphone ist somit nicht nur ein Gestalt gewordener Selbstreflex, sondern auch eine individuelle Kumulation des Anderen in unserem Leben. Es ist das digitale Beziehungsobjekt schlechthin und somit Ausdruck unserer zwischenmenschlichen Bedürfnisse. Und es weiß damit bald besser als wir selbst oder eine einzelne Bezugsperson, wie wir ticken, wen oder was wir brauchen. Längst haben wir damit begonnen (und es wird sehr viel mehr werden), mit unseren Smartphones zu sprechen. Kein Wunder, dass sie längst mit Mitmenschen um unsere Aufmerksamkeit konkurrieren.

Nun ist es allgemeinpsychologisch gesehen überhaupt nicht seltsam, dass ein Gegenstand sowohl uns selbst als auch den Anderen repräsentiert. Ungewöhnlich und neu ist es nur, wie ein einziges technisches Gerät zu so einem komplexen psychologischen Objekt werden konnte. Es ist sowohl Ich als auch Du, es ist gleichsam beides und liegt doch irgendwie dazwischen. Und wenn nun die Nutzung internetfähiger mobiler Endgeräte immer exzessiver wird, dann geht es eben längst nicht mehr allein um ein individuelles Süchtigsein sondern auch um eine kollektive Abhängigkeit. Das Ich droht sich dabei selbst zu opfern, wenn es sich hinter seinem Spiegelbild auf dem ursprünglich schwarzen Display, eben nicht nur in seinen Selfies sondern auch in digitalen Schwärmen verliert. Es geht eben um viel mehr als nur Narzissmus. Wir laufen Gefahr in den sirenenhaft verführerischen Bildern zu versinken, um im kollektivistischen Zwischenraum, den die Datenmeere für uns aufspannen, zu ertrinken.

Ebenso wie wir mit jeweils einem Bein im virtuellen und konkret-realen Leben stehen und die beiden Welten nicht komplett miteinander vermischen oder in Deckung bringen sollten, so ist es meiner Meinung nach auch wichtig, Ich und Du in der virtuellen Welt nicht so weit wie möglich ineinander aufgehen zu lassen. Wir brauchen das Spannungsfeld zwischen selbstständigen Individuen und Kollektiven, um als Menschen und Gesellschaften ebenso autonom wie demokratisch zu bleiben. Die seltsame Mischung aus übersteigertem Individualismus und Kollektivismus – die sich nicht zuletzt im Internet manifestiert – bereitet mir Sorge.

Ein Schritt in die richtige Richtung könnte sein, dass wir uns unsere Daten und damit die Deutungshoheit über sie zurückholen. Ich möchte nicht alles über mich verraten, wenn ich mich ausweisen muss. Und schon gar nicht möchte ich dabei meine Angehörigen verraten. Dieses neuartige technologische Beziehungsorgan, das wir Smartphone nennen, ich will es nicht aus der Hand geben, schon gar nicht in die Hände von Politik und Wirtschaft. Ganz davon abgesehen, gehe ich ohnehin davon aus, dass die Geheimdienste und Internetkonzerne längst einen Zugang zu meinem Smartphone haben. Den Behörden zumindest geht es vermutlich viel mehr um eine Geste der Unterwerfung, wenn sie von uns verlangen, Ihnen unsere Smartphones auszuhändigen. Wer eine Prothese braucht, hat den Verlust eines Körperteils zu beklagen. Bei der Psychoprothese Smartphone geht es offensichtlich darum, den Kopf nicht zu verlieren.