Dass wir im Science Fiction angekommen sind, ist ja fast schon ein alter Hut. Wie das im Alltag aussieht, ist bisweilen unfreiwillig komisch, zum Beispiel Skifahrer, die auf ihren Helmen Kameras montiert haben und dabei wie Marsmenschen aussehen. Ausnahmslos Männer scheinen sich so zum Affen zu machen, wenn gleich sie dabei offensichtlich glauben, bei der Evolution ganz vorne dabei zu sein. Ich habe Leute gesehen, die sich ernsthaft beim Skilaufen mit einem Selfie-Stick selbst filmten. Kein Wunder, dass heute weltweit mehr Menschen beim Erstellen von Selfies sterben als durch Hai-Angriffe. Ja, ich schäme mich dafür, dass mich das eher mit Schadenfreude als mit Mitleid erfüllt. Vielmehr noch beschäftigt mich aber die Frage, wer sich das denn alles anschauen soll? Ich gehöre noch zu der Generation, die von mehr oder weniger weit Gereisten mit Dia-Abenden gequält wurde. Aber die paar Schnappschüsse waren harmlos gegen das, was heute der Durchschnittsbürger an Bild- und Filmmaterialmüll produziert.

Und das ist erst der Anfang. Längst gibt es Mini-Kameras, die in Brillen eingebaut oder ans Revers gesteckt werden und permanent alles aufzeichnen, was man selbst sieht und tut. In Zukunft sehe ich da eine kreisrunde Linse auf der Stirn kleben, die wahlweise wie ein Einschussloch oder ein hinduistischer Bindi aussieht, was bezeichnenderweise ein engergetisches drittes Auge darstellen soll. Vielleicht sollte ich eine Schmuckkollektion entwerfen und als Patent anmelden: eine Nanokamera in einem Nasenring oder zwei in Piercings angebrachte Objektive, in Ohrringen oder Brustwarzen, mit denen man dann auch die pornographischen Episoden des Lebens hübsch in 3D festhalten könnte. In Ergänzung zu unseren echten Augen, denen wir offensichtlich nicht mehr trauen, werden wir wohl oder übel bald auch Kameras als künstliche Zusatzaugen direkt in die Körperoberfläche implantieren, um unser Leben noch umfassender dokumentieren zu können. Schlussendlich werden wir dann mit Hilfe von neuro-digtalen Technologien das sich unserem Auge bietende Bildmaterial direkt über die Retina oder die Sehrinde abgreifen. Auch diese Entwicklung ist längst keine futuristische Illusion mehr. Daran wird bereits gearbeitet.

Ein Albtraum, wenn Sie mich fragen. – Nicht genug dass wir in urbanen Umgebungen bald ununterbrochen gefilmt werden, also die Bild- und Filmrechte von unserem Leben abgeben, sobald wir die Privatsphäre unserer Behausungen verlassen. Auch das Tragen dieser permanent vernetzten Kameras ist Teil eines paranoiden Horrorszenarios. Jeder Hacker – also auch jede Regierung und jeder Geheimdienst, jeder Terrorist und Monopolist – wird sich in unser Leben einschalten können. Vielleicht werden wir das mit dem Argument billigend in Kauf nehmen, dass es nur zum Besten unsere eigenen Sicherheit sei. Denn auf diese Weise könnte bald jedes Unfallverschulden nachgewiesen, jede Straftat aufgeklärt und jeder Angreifer überführt werden. Besonders interessant wären diese Technologien für Versicherungen. Die Krankenversicherer bieten längst vergünstigte Tarife für das Tragen eines Fitness-Trackers am Handgelenk an, dem scheinbar harmlosen Pendant zur digitalen Fußfessel. Warum sollten es Ihnen Unfall- und Haftpflichtversicherungen nicht gleich tun? Vielleicht müssten wir dann für die dämlichen Unfälle mit Selfie-Sticks nicht mehr mitbezahlen. Die monetären Vergünstigungen jedoch, die wir uns mit der Dokumentation eines sicheren und gesunden Lebensstils erkaufen würden, kämen uns ideell teuer zu stehen. Es ist immer wieder dieselbe Rechnung: Für ein Zuviel an Sicherheit bezahlen wir mit unserer Freiheit. Als wandelnde Stative dienen wir dann nicht nur der Vermessung der Welt. Die implantierten Objektive machen uns zu willfährigen Objekten, die von der Technologie und ihren Machthabern gesteuert werden.

Aber warum denn immer alles so negativ sehen? Vielleicht ist die permanente Verfilmung unseres Alltags einfach nur schön. Wäre es nicht wunderbar, wir könnten am Abend noch einmal bei einem Glas Wein die Highlights des vergangenen Tages auf einem riesigen Flatscreen Revue passieren lassen? – Wir müssen nur genug Zeit zum Vorspulen einplanen. Einen Großteil unserer Zeit verbringen wir ja vor Bildschirmmedien. Wer will das schon doppelt sehen?

 

Bert te Wildt©