Die Tage kam ich spätabends auf dem Nachhauseweg an einem vergleichsweise teuren Auto vorbei, das komplett auf dem Bürgersteig stand und dem von einem wütenden Passanten offensichtlich ein ordentlicher Lackschaden beigefügt worden war. Ich widerstand meinem ersten Reflex, einen einzigen Schuldigen ausmachen zu wollen. Dann dachte und sagte ich, dass sich beide schlecht verhalten haben. Aber ich war etwas erschrocken, wie schnell ich mir ein einfaches, einseitiges Urteil hätte erlauben können. In diesem Zeiten scheint mir das symptomatisch zu sein. Ich kann doch auch Kim Jong Un und Donald Trump gefährlich finden und verurteilen.
Diese Herrschaften stehen für das Prinzip: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Auf altertümliche nordkoreanische Art und auf reaktionäre US-amerikanische Weise bedienen sie das archaische Bedürfnis nach klaren Feindbildern und Fronten. Auch in Europa geben Machthaber, die ihre Bevölkerungen hinter das bisher an Aufklärung und Demokratie Erreichte zurückfallen lassen, Grund zur Sorge. Dafür gibt es mehr Beispiele als nur Putin und Erdogan. Aber es ist ja nicht so, als gäbe es diese Tendenzen bei uns nicht. Wenn man Nicht- und Protestwähler links und rechts der Mitte zusammenzählt, so heißt es heute, käme man auf mehr als ein Drittel der Bevölkerung, mehr als ein Drittel würde ein tiefes Misstrauen gegenüber unserer Demokratie hegen.
Vielleicht entspringt der oft geäußerte Eindruck, dass der Wahlkampf so schrecklich langweilig sei, einem ähnlichen Impuls. Wollen wir lieber, dass die Politiker aufeinander losgehen und einschlagen? Steht uns der Sinn nach echten Duellen? – Ich habe das KanzlerInnen-Duell ganz anders erlebt als es in den von mir bevorzugten Medien wiedergegeben worden ist. Irgendwie ist es mir fast peinlich dies zu sagen, aber ich fand vor allem, dass ich zwei sehr respektablen Politikerpersönlichkeiten dabei zugeschaut und zugehört habe, wie sie auf respektvolle Weise miteinander diskutierten. Ich hätte mir ein paar andere Themen gewünscht, die vielleicht dabei geholfen hätten, mehr Unterschiede in den Positionen herauszuarbeiten. Aber ich dachte ernsthaft: Wenn eine(r) von den beiden KanzlerIn wird, dann ist das so oder so keine wirklich schlechte Wahl. Und ich dachte, dass das doch ein gutes Zeichen für unser Land sein könnte. Es geht hier eben nicht um eine Wahl zwischen Teufel und Beelzebub.
Nun heißt es ja aber eben auch, dass gerade diese Indifferenz das Problem sei und radikale Kräfte fördere. Auch ich will möglichst keine große Koalition mehr. Mir ist schon im Politikunterricht beigebracht worden, dass große Koalitionen unweigerlich zu Stillstand und radikalem Kräftezuwachs führen. Vielleicht sollten wir im Rahmen von Aufklärung und Demokratie alle etwas radikaler werden. Und ja, es gibt aus meiner Sicht wirklich vieles, was es zu verändern gilt. Aber an den Grundfesten der Demokratie, in der ich schon mein ganzes Leben lebe, möchte ich nicht rütteln. Dazu gehört es auch ein Stück weit auszuhalten, dass es Parteien – und das nicht nur rechts der Mitte – gibt, die diese Meinung nicht in Gänze teilen. Eine Unfähigkeit, Meinungsverschiedenheit auszuhalten, kann sich auch darin ausdrücken, dass man jede Kommunikation mit denjenigen verweigert, die an Aufklärung und Demokratie zweifeln. Es kann ja auch nur im Interesse von uns sein, dass Trump und Jong Un miteinander reden. Heute habe ich in einer langen Schlange beim Bäcker mit genau zwei Menschen gesprochen. Der eine erklärte, nicht wählen zu gehen, und die andere schlug vor, einen leeren Stimmzettel abzugeben. Diesen Ausdruck von Ambivalenz gegenüber Grundwerten finde ich entschieden inakzeptabel.