Melde mich aus dem abgeblasenen Sommerloch mit einem unpolitischen Thema zurück. Sexualität geht immer. Immerhin beziehe ich mich auf eine US-amerikanische Studie, die darauf hindeutet, dass junge Erwachsene immer weniger Sex haben. (Das dürfte noch nichts damit zu tun haben, dass mit den Obamas so oder so nun erst einmal jeglicher jugendliche Sexappeal aus dem Weißen Haus ausziehen wird.) Es wurde die Frage augefworfen, ob nicht das Rendez-Vous im Zeitalter seiner technologischen Reproduzierbarkeit gerade durch den Einsatz von Dating-Apps in seiner letzten sexuellen Konsequenz eher behindert als gefördert wird. Der Begriff Disruption gewinnt in diesem Geschäftsfeld eine ziemlich ambivalente Dimension. Beim Thema Sex scheinen die Algorhythmen jedenfalls noch nicht flächendeckend zu erotischen Eruptionen zu führen. Dass die Menschen durch die digitale Kuppelei zwar weniger, aber dafür aber besseren Sex haben, erscheint mir als eher unwahrscheinlich.

Ist es denn ein Märchen, dass paarungswillige junge Städter sich via Smartphone allabendlich noch einen One-Night-Stand schießen, wenn sie in Bars und Discos auf analogem Wege nicht zum Zuge gekommen sind. Gehen nur in Berlin, diesem nicht mehr ganz so neuen Sehnsuchtsort für den durchurbanisiserten Sextouristen aus Spanien oder Schwaben, die Raten für Geschlechtskrankheiten in die Höhe? Was für Amsterdam Haschisch und Marihuana waren, sind für Berlin doch Tinder und Grinder. – Aber vielleicht schafft ja die permanente Verfügbarkeit einer Vielzahl passgenauer Sexualpartner nicht nur zu einer Qual der Wahl sondern auch zu einem Überdruss. Dann kommt es am Ende des Tages oder der Nacht zu keinem gemeinsamen Vollzug mehr, im besten Fall nur noch zu autoerotischer Bedürfnisabfuhr mit pornographischer Begleitung. Es kann ziemlich anstrengend werden, wenn man einen echten Menschen mit nachhause nimmt. Im Zweifelsfall tut es dann auch eine delikate Auswahl des digital jederzeit und überall verfügbaren pornographischen Materials, das noch die hinterste Ecke der eigenen Phantasie auszuleuchten und zu bedienen vermag.

Cybersexsüchtige bleiben bei der permanenten Suche nach Pornos, Sex-Chats und Dates hängen. Das betrifft keinesfalls nur notorische Singles. Bei meiner Arbeit bin ich vielen cybersexsüchtigen Männer in Beziehungen begegnet, deren Sexualität unter, vor und nach der Sucht ziemlich gelitten hat. Aber vielleicht bekommen wir einfach auch deshalb nur deshalb so wenig online-sexsüchtige Singles zu Gesicht, weil sie keine Partnerschaft haben, die es zu retten gilt. Aber wer rettet den echten Sex vor seiner Digitalisierung, bevor wir damit anfangen, es uns nicht mehr nur vor Bildschirmen zu besorgen sondern damit anfangen, es mit Robotern zu treiben?

Wenn ich heute junge Leute im Rudel oder Einzeln auf öffentlichen Plätzen auf ihre Smartphones starren sehe, gehe ich eher davon aus, dass sie Pokemons sammeln, als dass sie nach One-Night-Stands jagen. Von außen betrachtet passiert bei beiden Varianten herzlich wenig. Es wird vor allem gewartet, dass ein (Sex-)Monster auf ihrem Bildschirm erscheint. Und ebensowenig wie sich die einen als Geisterjäger sportlich betätigen, werden die anderen wahrscheinlich auch eher keinen echten Beischlaf erleben. Was ist nur aus der Jugend geworden. Junge Menschen schauen ungefähr alle 8 Minuten auf ihr Smartphone. Um dazwischen unbehelligt Sex zu haben, muss man schon ziemlich schnell sein. Auch unser Liebesleben braucht wohl einen Schuss enhanced reality. Dann müssen wir unsere Smartphones auch beim Sex nicht mehr aus der Hand legen.

Vielleicht ist es wie bei der vermeintlichen Erotik des Alters, dem Kochen. Ein guter alter Freund versucht mich seit Jahren davon zu überzeugen, dass die vielen Kochshows keinesfalls dazu führen, dass die Menschen besser essen. Wer am Vorabend Kochsendungen schaut, kocht vermutlich gerade nicht. Und während eines Pornos haben die meisten Menschen Sex nur mit sich selbst, das ist wie Pasta mit Pesto für Singles.

 

© Bert te Wildt