Passend zur Gamescom steigt die Zahl der abhängigen Gamer in unserer Ambulanz mal wieder an. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht ein neuer Patient wegen einer Computerspielsucht oder dessen verzweifelte Angehörige bei uns vorstellig werden. Da kann man schon mal wütend werden auf das Gaming und die Industrie, die damit ein Milliardengeschäft macht. – Nur dass keine Missverständnisse aufkommen, ich habe grundsätzlich nichts gegen Computerspiele. Bin selbst schon mit ihnen groß geworden: Pong, Atari, C64, you name it. Um auf dem Stand zu bleiben, spiele ich auch heute noch, mal gezielt und mal nur so zum Spaß. Mein Verständnis für den Reiz der Spiele kommt mit Pokémon GO allerdings gerade an seine Grenzen, wenn ich vor die Tür gehe und erwachsene Menschen dabei beobachte, wie sie im Straßenverkehr und in Parks virtuelle Monster fangen. Das ist doch eine infantile Mischung aus Fangen Spielen und Panini-Bildchen Sammeln. Längst haben sich im Zusammenhang mit solchen Smartphone-Spielchen Unfälle mit lebensgefährlichen und sogar tödlichen Folgen ereignet.
Der Hype um Pokémon GO wird bald vorbei sein, da bin ich mir ziemlich sicher. Aber das Gaming via Smartphone mit augmented reality apps wird sich bestimmt durchsetzen. Wo doch die konkrete Realität da draußen so langweilig ist. Mehr noch, gerade sind auch die Spiele in Virtual-Reality-Formaten auf dem Vormarsch. Neben den immer noch ziemlich teuren Head Mounted Displays, gibt es jetzt die Pappversionen, bei denen man sich einfach sein Smartphone vor die Augen klemmt und vom Licht der Welt abschirmt. Einen schöneren Hinweis darauf, dass der ein oder andere Hardcore-Gamer ein Brett vor dem Kopf hat, kann ich mir kaum vorstellen. Geht mir bloß weg mit der Welt da draußen.
Alles spricht dafür, dass uns das mit der Computerspielsucht eher noch mehr als weniger beschäftigen wird. Manchmal bin auch ich noch selbst erschrocken darüber, was das exzessiv-süchtige Gaming anzurichten vermag. Allen Zweiflern müsste man einmal vor Augen halten, wie viele Menschen dabei ihre körperliche Gesundheit wortwörtlich aufs Spiel setzen. Die Leute von Nintendo sind bereits Experten darin. Auf der Wii hat sich schon der ein oder andere die Knochen gebrochen oder ist in einen Bildschirm gekracht. Erste Studien haben gezeigt, dass das exzessive Computerspielen zu Sehnenscheidenentzündungen, Augenerkrankungen und Haltungsschäden führen kann. Noch häufiger sind die Fälle von Fehlernährung mit Unter- oder Übergewicht. Wir hatten letzte Woche einen Patienten mit einem BMI unter 15 und einen mit über 55. Die Realität des eigenen Körpers wird bisweilen bis zur Verwahrlosung vernachlässigt. Das kann sogar existenziell bedrohlich werden. Wie bei substanzgebundenen Abhängigkeitserkrankungen kann am Ende die Sucht mit dem Leben nicht mehr vereinbar sein. Das mit den Todesfällen dürfte längst weltweit bekannt sein.
Nein, es geht hier nicht mehr einfach nur um harmlose Spielerei. – Ihr Gamer wollt doch ernst genommen werden in Eurem Hobby, oder? Dann gebt doch endlich zu, dass es dabei tatsächlich auch gefährlich werden kann. No risk, no fun. Und wenn ich für den ein oder anderen nicht als Spielverderber gelten würde, würde ich wohl etwas dramatisch falsch machen. – Ab morgen bin ich mit unserer neuen Online-Ambulanz, dem OASIS-Projekt, auf der Gamescom. Ich freu mich drauf.
© Bert te Wildt