Einen analogen Personalausweis mit mir herumzutragen, kommt mir schon lange anachronistisch vor. Auch einen Reisepasse brauche ich kaum, fliege und bewege mich selten außerhalb der EU. Werde so gut wie nie angehalten. Fände es irgendwie charmant, wenn mich mal ein*e Wachtmeister*in nach meinen Papieren fragen würde, aber das passiert nie. Würde mich gerne mal wieder auf diese Weise identifizieren, eben nicht nur als Konsument, sondern auch als Bürger. Letzteres findet im Netz so gut wie gar nicht statt. Wenn ein Kind sich einen Porno anschauen will, muss es in der Regel nur auf einen Bestätigungsbutton klicken, dass es volljährig ist. Umgekehrt kann sich ein Pädophiler in Computerspielen einfach als Kind ausgeben und Kindern nähern. Wie kann das sein? – Ohne groß zu recherchieren, wer das alles schon vor mir gedacht haben könnte, sei dies mal hier rausgehauen: Wir brauchen endlich eine bürgerliche Identität im Netz, mit der wir uns und einander eindeutig und sicher identifizieren können.

Unendlich leid bin ich es auch, wie wir uns immer noch über Hassrede, Identitätsdiebstahl, Stalking und Mobbing im Netz aufregen. Und wir tun immer noch so, als könnten wir nichts dagegen tun. In der Anonymität eines digitalen Mobs mit furchterregender Schwarmdummheit abzutauchen, um sich gemeinsam gegen andere zusammen zu rotten, bildet einen Nährboden für Faschismus. Anonymität macht uns dafür auch manipulierbar, weil es uns kollektiv bei unsere niedersten Instinkten abholt. Wir sind dann nicht wir selbst, sondern eine amorphe Masse, im Zweifelsfall tödlich, aber eben auch kamikazehaft dem Tode geweiht. Die Müdigkeit gegenüber Freiheit, Demokratie und Frieden gefährdet in ihrer Destruktivität ja am Ende auch ihre Feinde. Nur Kollektive, in denen der Einzelne als Individuum auftritt, eine Sichtbarkeit und Autonomie haben darf, sind nicht derart bedrohlich. Für demokratische Systeme muss man eben eine identifizierbare Stimme erheben und abgeben, im besten Zweifelsfall engagiert, couragiert, ohne sich zu verstecken.

Warum war es uns noch einmal so wichtig, dass wir im Internet anonym auftreten können? Ich kann mich kaum mehr an richtig gute Gründe erinnern, außer die, dass das Netz mal so schön frei und anarchistisch sein sollte. Aber wer profitiert von dieser Anonymität? – Cyberkriminelle und Cyberterroristen zum Beispiel, diejenigen, die digitale Propaganda und Kriegsführung anzetteln. Wir schützen die Trolle und Miesepeter im Netz, die hetzen und manipulieren. Mir wäre es lieber, wir würden etwas tun gegen die Angriffe auf Frauen und queere Menschen, auf Politiker*innen und Polizist*innen, Sanitäter*innen und Krankenpfleger*innen, auf Lehrer*innen und Ärzt*innen. Habe es am eigenen Leib erfahren, dass ich gegen anonyme Hetze in meiner Funktion als Arzt kaum etwas ausrichten konnte. Schon deshalb habe ich überhaupt keine Lust mehr Portale und Netzwerke zu nutzen, auf denen die Nutzer anonym bleiben können. Die soll es ja auch gerne weiter geben, aber eher als Ausnahme von der Regel, Nutzung auf eigenes Risiko, Eltern haften für ihre Kinder.

Aus meiner Sicht wäre wäre viel gewonnen, wenn wir alle auch eine digitale Bürgeridentität mit unserem Namen hätten, mit Hilfe derer wir eindeutig identifizierbar sind. Damit sollte nicht unsere Wohnadresse öffentlich gemacht werden, aber wir sollten über die Meldebehörden haftbar gemacht werden für das was wir im Netz tun. Dass unser digitales Handeln längst eine ähnliche Dimension hat, wie unser analoges Handeln muss wohl nicht mehr erklärt werden. Ich würde dann in aller Regel nur noch in Messenger Dienste und Soziale Netzwerke eintreten, in denen alle mit einem im Zweifelsfall nach zu verfolgenden Klarnamen auftreten. Ich möchte einfach nicht mehr mit jemanden politisch diskutieren, mich von jemanden bewerten lassen, überhaupt irgendwie behelligt werden, die oder der nicht zu seiner bürgerlichen Identität steht. Wenn wir auch in internationalen Zusammenhängen dahin kommen würden, dann können wir schon einmal sehr viel Hass und Dummheit, grenzüberschreitenden Sex-and-Crime, ausschließen aus unseren immer digitaler werdenden Leben. Anonymes Handeln im Netz sollte weiter möglich sein, aber mit der digitalen Identität könnte es auf den entscheidenden Ebenen des öffentliche Lebens in die Bedeutungslosigkeit fallen, die es verdient.

Lasst uns endlich zu unserer Identität bekennen und das Internet damit aufwerten, dies insbesondere zugunsten derer, für die wir die meiste Verantwortung tragen, die Kinder. Dass wir das noch nicht längst getan haben, uns stattdessen in absurden Identitätsdebatten verzetteln, finde ich ziemlich infantil, wenn wir nicht einmal bereit sind zu unserer Identität zu stehen. Zivilcourage braucht es im Netz allerorten.