Vor kurzem im Fußballstadium. Zwei Horden von Männern aus allen möglichen Staaten dieser Welt repräsentieren zwei Städteim sportlichen Wettkampf gegeneinander. Die Bewohner dieser Städte stehen hinter ihnen und jubeln. Im Publikum bemerke ich immer mehr Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund (Dieser Begriff, über dessen politische Korrektheit ich mir unsicher bin, wird von Word interessanterweise für orthographisch inkorrekt erklärt). Auf den Stehplätzen wogt eine explosive amorphe Masse, die einen ebenso faszinieren wie ängstigen kann. Von diesem Fanblock halten sich die Afrikaner, die in den Sitzrängen Bier aus Spritzpistolen verkaufen, vermutlich fern. Und doch möchte ich an diesem Ort – bei aller Gefahr, dass hier mal eben ein Block geschlossen nach rechts kippen könnte – eine Stimmung ausmachen, die nicht zuletzt auch etwas mit Völkerverständigung zu tun hat. Um andere Arten von Explosionen zu vermeiden, nehmen alle gerne die strengeren Sicherheitskontrollen in Kauf. In die Bierseeligkeit des Fußballplatzes kann ich durchaus einstimmen. Darin in erster Linie eine primitive Dekadenz zu sehen, kann ich vielleicht nachempfinden, ist aber grundfalsch.

An dieser Stelle der Weltgeschichte nur alle geistigen und künstlerischen Errungenschaften des alten Europas ins Feld zu führen, ist zu kurz gegriffen. Es ist geradezu gefährlich, mit Terroristen reflexhaft alles in Frage zu stellen, was nicht vor dem Hochamt der Hochkultur zu Boden geht. Aufklärung und Demokratie, plurale und liberale Gesellschaften sind viel mehr als das. Sie beweisen sich ebenso im Alltag, nicht zuletzt auch bei allem, was wir unter Volksfesten verstehen mögen, ob beim Open-Air-Festival oder beim Oktoberfest, auf Sportveranstaltungen und Weihnachtsmärkten, mit und ohne Alkohol, mit und ohne Religion.

Ganz grundlos macht es uns aus meiner Sicht jedoch nicht nachdenklich, dass all diese als Anschlagsziele gehandelt werden. Allein dort trotzig weiter hinzugehen in der bangen Hoffnung, dass schon nichts passieren wird, reicht nicht. Wenn wir unser Alltagsleben in den europäischen Ländern lieben, dann müssen wir wieder politischer werden und mit den Mitteln der Demokratie dafür kämpfen. Inmitten der fundamentalistischen Angriffe der Neonazis und des sogenannten IS, die ja allesamt auch von den Rändern unserer Gesellschaften hervorgehen, besteht durchaus die Gefahr, dass sich aus der Mitte heraus niemand mehr kümmert, weil wir zu satt und zu bequem geworden sind, weil wir letztlich freie Marktwirtschaft und Demokratie miteinander verwechselt haben. Die Dekadenz, die man uns vorwerfen könnte, läge dann nicht in unserem Lebensstil, sondern in unserer Unfähigkeit, seine Grundbedingungen zu erkennen und zu gestalten . Wenn ich das Wort Politikverdrossenheit schon höre, kriege ich die Krise. Wenn wir aus Angst und Bequemlichkeit den Rechtsradikalen das Feld überlassen, um uns vor Islamisten zu schützen (und umgekehrt), dann haben wir verloren. Insofern gehe ich davon aus, dass sich unser Alltag so oder so verändern wird. Diejenigen, die hoffentlich noch eine Mehrheit darstellen, müssen für ihre demokratischen Ziele kämpfen und das eben nicht nur für einen Erhalt sondern für eine Weiterentwicklung Europas.

In ihren reaktionären und sexistischen Zielen unterscheiden sich die vermeintlichen Feinde, die um die Macht über uns kämpfen, wenig. Jetzt erst recht müssen wir daraufhin arbeiten, dass beispielsweise ein lesbisches Paar Hand in Hand durch jedes Viertel der Stadt gehen kann, auch da wo Menschen aufgrund ihren religiösen oder politischen Überzeugungen ein Problem damit haben könnten. Fangen wir doch auf den Festen der Bevölkerung damit an.

Bert te Wildt©