Scho(e)n anders ist es, auf dem Land zu leben. Mehr Bio als hier geht nicht. Da kann man echt noch was lernen. Im hiesigen Bio-Laden, der gerade sein 50-jähriges Bestehen feiert, wurde ein Produkt angeboten, das mich nachhaltig zum Nachdenken angeregte: Lebendfallen für Fruchtfliegen.

Wenn mich Mutter Natur mit wenig Aufwand möglichst effektiv anekeln möchte, dann schickt sie uns eine Horde Fruchtfliegen in die Küche. Noch als notorischer Städter habe ich viele Insekten eigenhändig gefangen und vor die Tür gesetzt, selbst wenn draußen der sichere Kältetod auf sie wartete. Fruchtfliegen haben allerdings noch nie irgendeine empathische Reaktion bei mir wachgerufen. Selbst in meiner esoterischen Phase habe ich mir nicht vorstellen können, dass mein Karma dadurch Schaden nehmen könnte, die eine oder andere Fruchtfliege auf dem Gewissen zu haben.

Nur die Altbauwohnung, in der wir jetzt leben, erinnert noch an unser urbanes Leben in gentrifizierten Stadtvierteln. Die Zwischenräume zwischen den doppelten Fenstern ziehen hier alle Arten von Insekten magisch an und regen sie zu mannigfaltiger Vermehrung an. Ich möchte behaupten, dass in diesem Sommer tausende von Insekten in unserer Wohnung, vor allem zwischen den Fenstern, aber auch in unserer wachsenden Armada von Staubsaugern den Tod fanden.

Es ist schön hier auf dem Land, weil draußen immer etwas blüht. Wenn es nur drinnen nicht auch zu immer neuen Fruchtbarkeitsschüben bei diversen Insektengattungen kommen würde. Man lebt halt mit den Jahreszeiten. Wir hoffen, dass der Winter sich hier von einer vorteilhafteren Seite zeigt. Aber jetzt im Spätherbst hatten wir gerade erst noch eine kleine Plage stattlicher Käfer, die zur Gattung der Wanzen gehörten. Und jetzt vermehren sich offensichtlich gerade Marienkäfer in unseren Rolladenkästen.

Nun fand ich Marienkäfer als Kind immer recht putzig. Mit Hilfe der schwarzen Punkte auf roten Grund bekam ich das Zählen beigebracht. Und aufgrund einer Verwechslung mit Maikäfern, die ich als Kind in der Stadt ohnehin nie zu Gesicht bekam, habe ich lange gedacht, dass Marienkäfer Glück bringen. Ein bisschen abergläubisch bin ich schon. Und es schien mir nur logisch, dass die schwarzen Marienkäfer mit roten Punkten irgendwie negativ, geradezu antichristlich, also böse sein und Unglück bringen könnten. Das gestaltete meine aktuelle Jagd nach ihnen einigermaßen gruselig.

Das mit den Insekten ist der Horror in dieser fast unerträglich schönen Idylle. Und um dabei nicht hysterisch oder paranoid zu werden, verwandele ich mich gerade selbst in ein Monster. Mittlerweile ist es mir ziemlich egal, ob ich die Tiere mit diabolischem Blick tot oder lebendig wegsauge. Was die Spinnen nicht hinkriegen, muss ich dann eben selbst in die Hand nehmen. Wir haben einen durchsichtigen Handstaubsauger, dessen rotierender Inhalt vor lauter Chitinpanzer nur so knistert. Ich traue mich dann gar nicht richtig zu schauen, was da drin noch so kreuchen und fleuchen mag. Und ich ertappe mich bei dem zugegebenermaßen zynischen Gedanken, dass die versammelten Insekten darin noch etwas Spaß miteinander haben könnten, vielleicht auf die ein oder andere Art und Weise übereinander herfallen, um einander zu vernaschen.

Mit den Inhalten unserer Staubsaugerbeutel könnten wir jedenfalls noch Geld machen. Immer häufiger lese ich, dass Insekten eine äußerst gesunde Proteinnahrung darstellen, lowcarb und so. Sie werden ernsthaft schon zu Keksen, Riegeln und Krackern verarbeitet. Upcycling nennt man das dann, glaube ich. Niemals aber, so habe ich mir hoch und heilig geschworen, werde ich Insekten essen, auch wenn das nur konsequent wäre. Ich möchte mein Repertoire an Tiernahrung eher verkleinern als vergrößern. Ich bin schon bei Krokodil, Strauss und Taube ausgestiegen. Die Gewässer sind überfischt, die Wälder und Auen untervögelt.

Aber Vogelsterben und Insektsterben hängen ja wohl eng mit einander zusammen. Dagegen müssen wir ernsthaft etwas tun. Ich könnte zumindest aus den Insektenkadavern Vogelfutter machen. Gefühlt wohne ich ja jetzt im Zentrum des Insektensterbens, welches hier auch ohne die Unterstützung der Chemieindustrie dramatische Ausmaße annimmt. Der Mensch stört einfach das natürliche Gleichgewicht. Wir brauchen nur eine Wohnung zu beziehen oder barfuss über eine Wiese zu laufen, schon werden wir zu Insektenmördern.

Die Tage habe ich einen Film gesehen, der damit endete, dass sich die Dinosaurier die Erde zurückholen. Auch wenn ich mir damit noch mehr Feinde mache, ich finde es gerade ganz charmant, dass die Wölfe uns und den von uns versklavten Nutztieren wieder etwas auf den Pelz rücken. Werden Wölfe als Schnaken wiedergeboten, wenn Sie uns reißen?