„Möge ich freundlich zu mir sein“ ist ein Artikel im Deutschen Ärzteblatt übertitelt. Ich dachte, ich les nicht richtig. Es geht um die nächstmögliche Stufe verschärfter Achtsamkeit, nämlich die ärztliche Achtsamkeit gegenüber dem eigenen Leiden angesichts des Leidens unserer Patientinnen und Patienten. Es ist da ernsthaft von „achtsamem Selbstmitgefühl“ die Rede. Nein, nicht Selbstmitleid oder Empathie mit sich selbst sei gemeint, sondern eine „tiefe Erkenntnis des eigenen Leids“ im Zusammenhang mit Arbeitsbelastungen. Das tut weh.

Brauchen wir denn für alle Gegenstände des gesunden Menschenverstandes einen begrifflichen Sargnagel, der am Ende doch nur zur Parodie taugt? Die sogenannte „Hypersensibilität“, jetzt wird sie auch noch zur Berufskrankheit der ärztlichen Zunft erklärt. Bitte nicht. Wenn es nach mir ginge, würden wir gleich auch noch auf die Begriffe „Mobbing“ und „Burnout“ verzichten. Am Ende sind wir es im Zweifelsfall selbst, die sich selbst ausbeuten und andere ärgern. Angesichts des allgegenwärtigen Ärztemangels gibt es sicherlich auch viel Erschöpfung, die man beim Namen nennen sollte, zum Beispiel wenn von engagierten Kollegen und Kolleginnen der Klinikbetrieb aufrechterhalten wird, weil es einen Mangel an Ärzten gibt. Andererseits wissen viele Ärztinnen und Ärzte durchaus sehr gut, dass sie begehrt sind und damit mehr denn je individuell und kollektiv Einfluss auf ihre Arbeitsbedingungen haben. Im Zweifelsfall sucht man sich eine neue Stelle, wenn einen die Vorgesetzen mit zuviel Aufgaben ins Burnout gemobbt haben.

Bei allem Respekt, aber bestimmte Berufe erfordern neben einer gesunden Sensibilität eine besondere Stabilität. Das gilt beispielsweise auch für den Lehrerberuf oder die Arbeit als Soldat oder Soldatin. Es mag hart klingen, aber wer solche Berufe ergreift, braucht auch eine spezifische Belastbarkeit. Dementsprechend sollte das Jammern über die Härten dieser Jobs seine Grenzen kennen. Als ärztliche PsychotherapeutInnen haben wir ja sogar die Chance, in der therapeutischen Selbsterfahrung unsere Sensibilität und Stabilität gleichermaßen zu erkunden und zu schulen. Eine tolle Erfahrung und ein Privileg ist das.

Allerdings kann man das mit der Selbstbespiegelung auch übertreiben. Im Zweifelsfall dreht man sich dann nur noch um sich selbst. Einige übereifrige PsychotherapeutInnen meinen immer neue mentale Schichten über unser psychisches Erleben auszumachen zu können beziehungsweise legen zu müssen. Aber entfernen oder entfremden wir uns damit nicht eher von unserem Erleben? – Die Antwort darauf sollte aus meiner Sicht nicht darin liegen, noch kompliziertere und verzärteltere Theorien über uns selbst zu stülpen, sondern vielmehr wieder bei den ursprünglichen Empfindungen anzufangen. Es ist schon hilfreich, wenn man einfach nur dazu in der Lage ist zu spüren und zu erkennen, dass man traurig oder wütend ist, und entsprechend danach zu handeln. Vielleicht geht es beim sogenannten „Selbstmitgefühl“ ja einfach nur um ganz einfache küchenpsychologische Binsenweisheiten, dass man sich zum Beispiel selbst gern haben können muss, um andere gern haben zu können. Dasselbe gilt für das Vertrauen und Vergeben, Lieben und Leiden und so weiter.

Seine Grenzen sollte man in helfenden Berufen aber nicht nur um seiner selbst willen kennen, sondern nicht zuletzt auch zum Wohlergehen derjenigen, die sich ihnen anvertrauen. Wenn Sie mich fragen, welche Menschen ich besonders bewundere, dann sind das die, die ohne großes Gewese regelmäßig ihre eigenen Grenzen zugunsten anderer Menschen verschieben, und die sich ohne groß zu klagen Auszeiten nehmen, wenn sie dran sind. Und wenn schon denn schon bitte echtes, unverhohlenes Selbstmitleid. Das hat auch seine Berechtigung, sollte aber ganz besonderen Situationen vorbehalten sein. Dann aber bitte richtig weinen und nicht gleich wieder wegmeditieren.

 

Bert te Wildt©