Als sich vor kurzem der letzte der vielen großen Terroranschläge in der Türkei ereignete, war ich nicht nur entsetzt über die Tat sondern auch über die Reaktionen in Deutschland. Anstatt zunächst einmal Mitgefühl zu empfinden und zu zeigen, schienen Politik, Medien und Öffentlichkeit als erstes daran zu denken, welche Folgen das beim reaktionären Machthaber Erdogan und seinen Gefolgsleuten haben könnte. Anstatt niedergeschlagen zu sein über die menschlichen Verluste, wird als erstes daran gedacht, wer als Reaktion auf diese unmenschlichen Taten andere niederschlagen wird. Dass erst einmal die Trauer eine Zeit und einen Raum braucht, dass es vielleicht nicht gut ist, gleich zu reagieren, das kommt kaum jemanden in den Sinn, weder dem türkischem Machthaber noch seinen Kritikern. Die Unfähigkeit zu Trauern, wie Margarete und Alexander Mitscherlich es formulierten, ist brandgefährlich. Gleich zu handeln, um Trauer nicht ertragen zu müssen und sie zu instrumentalisieren, führt nicht selten zu Gewalt und neuem Leid. Das gilt auch für diejenigen, die nur die Vergeltungsmaßnahmen und gar nicht die Verzweiflung über das Geschehene sehen. Ich kann mir vorstellen, dass dies die deutsch-türkische Bevölkerung in Deutschland und in der Türkei als herzlos und empörend empfinden.

Depression und Aggression verstehen sich als zwei Kehrseiten ein und derselben Medaille. Der sich und andere niederschlagende Mensch, so hat es der Psychiater Klaus Dörner einmal formuliert. Wer Trauer chronisch verdrängt, droht niedergeschlagen-depressiv, niederschlagend-aggressiv oder beides zu werden. Das gilt ebenso für die Wut, die auch so ein sinnvolles, überlebensnotwendiges Gefühl ist. Selbstmordattentäter sind in der Regel beides, aggressiv und depressiv. Nichts kann diese unheilige Allianz besser zum Ausdruck bringen als ein Selbstmordattentat. Das gilt für die bisweilen rechtsradikalen Amokläufer bei Schoolshootings ebenso wie für islamistische Terroristen, die dabei eben auch ihren Suizid inszenieren. Kein Leben ist ihnen etwas wert. Ihr maligner Narzissmus kennt nur noch Vernichtung. – Mein Bruder tendiert dazu, islamistische Terroristen lieber Arschlöcher zu nennen, weil sie den Begriff Terror ideologisch geradezu als Auszeichnung empfinden (In Deutschland hat die Verklärung von Terroristen ja durchaus eine gewisse Tradition). In diesem Sinne müsste man den Attentäter von Berlin, der ja vermutlich noch am Leben ist, ein besonders feiges Arschloch nennen. – Ja, ich bin nicht nur traurig sondern auch sehr wütend.

Nach den schrecklichen Anschlägen war auch ich ziemlich schnell – zu schnell für meine Begriffe – in Gedanken bei denjenigen Politikern, die diese Taten sogleich für ihre politische Agenda ausnützen würden. Ich habe meine Wut auf den Täter einfach umgelenkt. Damit verbindet sich eine bange Frage. Müssen wir mehr Angst vor Rechtspopulisten haben als vor Islamisten? – Die Frage führt in die Irre. Die Relativierung, die sie impliziert, erscheint mir als ein Denkfehler. Die Gefahr liegt ja vor allem darin, dass sich diese Gruppen gegenseitig anfeuern und zu immer weiteren Radikalisierungen reizen. Im Zusammenhang mit dieser aktiven Aggressivität muss uns nicht zuletzt auch die passive Aggressivität – die mir auch als eine fiese Ausdrucksvariante kollektiv verdrängter Trauer und Wut erscheint – Sorgen machen. Alle diejenigen, die schweigend und dulden, was geschieht. Das muss aufhören.

Ich wünsche mir zum Beispiel, dass Türken in Deutschland Erdogan für das Unrecht kritisieren, das er Menschen in der Türkei antut. Ich würde mir wünschen, dass Kurden in Deutschland sich von den Bombenanschlägen distanzieren und sich gegenüber den Opfern empathisch zeigen. Von AfD-Wählern möchte ich hören, dass sie überhaupt kein Verständnis dafür haben, wenn einmal mehr ein Asylbewerberheim angezündet wird. – Derweil möchte ich den türkischen Familien, die ihre Angehörigen bei den vielen terroristischen Anschlägen verloren haben, mein Beileid aussprechen.

Bert te Wildt©