Stehe irgendwie immer noch unter dem Eindruck der diesjährigen Gamescom, insbesondere von meinen Virtual-Reality-Kämpfen. Erst bin ich mit VR-Brille gegen putzig animierte Skelette angetreten und dann gegen endlose Horden von ziemlich realistisch aussehenden Untoten. Kampf und Krieg sind wie immer die Hauptmotive auf der weltgrößten Computerspielmesse, auch im Zombiemodus von Minecraft, das keinesfalls einfach eine harmlose digitale Variante von Lego ist. Gleich zwei Spielehersteller werben mit dem Slogan „Total War“. Und die Bundeswehr versucht auf ihrem Stand mit Shootern für Nachwuchs zu sorgen. – Aber ich möchte ja Computerspiele nicht verteufeln und immer nur die Aggressionspotentiale darin ausmachen, will vielmehr die dahingehende Dichotomie von Gut und Böse endlich aufbrechen. Und vor allem will ich nicht immer gleich alles bewerten.
In der Zeitung lese ich am liebsten ein differenziertes und nuancenreiches Feuilleton. Am Ende interessiere ich mich dann aber schon dafür, ob ein Film oder ein Buch positiv oder negativ bewertet wird. Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich zu den letzten Zeilen springe, dies in der Hoffnung, ein einfaches abschließendes Urteil serviert zu bekommen.
Wie gut, dass sich das Feuilleton längst auch der Computerspiele annimmt – das meine ich ganz unironisch. Ärgern kann ich mich wohl trotzdem über die ein oder andere Rezension, insbesondere dann, wenn sie völlig unkritisch geraten ist. So geschehen mit dem Spiel in einer Rezension von Maximilian Sippenauer in der Süddeutschen Zeitung vom 30.8.2017 mit dem Untertitel: „Im Online-Shooter Playerunknown’s Battlegrounds wird höchst sympathisch bis aufs Messer gekämpft.“ In dem Spiel geht es vor allem darum, dass eine Gruppe von Menschen auf einer verlassenen Insel ausgesetzt wird. Dort müssen sie mit und gegeneinander um ihr Überleben kämpfen, bis am Ende nur ein Spieler übrig bleibt. Man kann sich das auch als Zuschauer ansehen, wobei man immer nur mit einer ausgewählten Figur mitfiebern kann. Im besten Fall setzt man von Anfang an auf denjenigen mit den größten Überlebenschancen. Spannend daran sei es vor allem zu sehen, wie die Mitspieler mit dem Überlebenskampf individuell umgehen. Dazu gehört das Schmieden und Zerbrechen von Allianzen ebenso wie variantenreiches Töten. Denn am Ende kann immer nur ein(e)r überleben.
Der Autor des Artikels sieht und preist darin nicht nur ein interessantes psychologisches Moment sondern gar eine Art Sozialstudie: „Kann überhaupt eine Form von Moral entstehen, die über das Selbst hinausweist? Der Reiz des Battle liegt weniger im Kompetetiven als im Psychologischen. Die antike Arena ist nur der Anlass, das Thema ist der Mensch.“ Es gehe eben nicht um die durchaus stattfindende extreme Gewalt, sondern um die Sozial-Psychologie des Überlebenskampfes. Menschen in derartiger Verklärung dabei zuzuschauen, wie sie auf ihre ureigene Art und Weise kreativ und sozial mit einer spielimmanenten Notwendigkeit zu töten umgehen, das ist schon ein starkes Stück. Für alle Spieler und Zuschauer geht es letztlich um eine archaische psychologische Verfasstheit und einen durch und durch antisozialen Prozess, dessen Resultat es nun einmal ist, am Ende als einziger übrig zu bleiben, digital allein auf der Insel und analog allein vor dem Rechner.
Ein kritisches Hinterfragen findet in der Rezension an keiner Stelle statt. Die wissenschaftlichen Disziplinen werden einfach mal so in den Raum geworfen. Für eine fundierte Psychologie fehlt es hier ein vertiefter narrativer Bogen und damit auch jegliche Moral von der Geschichte. Und für eine Sozialstudie mangelt es an einer Hypothese und einem Ziel. Das Verständnis von Psychologie und Soziologie, und die Vorstellung von einem Kunstwerk, das eine Rezension im Feuilleton würdig ist, scheint mir hier doch sehr niedrig aufgehängt. Ein Film oder ein Buch, der einfach nur Tötungsakte ausstellt, wäre es kaum wert, dort gewürdigt zu werden. Die bloße Aneinanderreihung von Gewaltdarstellungen als Kritik an Gewalt ist in der Kunst nur selten gelungen, am ehesten noch vielleicht in Pasolinis „Salò“ und Ellis’ „American Psycho“. Computerspiele, die ausschließlich aus Gewaltakten bestehen, gehören bislang nicht dazu. Meist folgen sie eher den Regeln der Pornographie, die sich mit einer Geschichte auch keine Mühe machen muss.
Dass der Sozialdarwinismus ein großes Thema in unserer Kultur geworden ist, dass uns der individuelle und kollektive Atavismus so stark beschäftigt, und dies offensichtlich auch völlig bar jeder Gesellschaftskritik, wie es dieser Artikel im Feuilleton zeigt, ist einigermaßen beunruhigend. Das „Überleben des Stärkeren“ findet sich als Motiv derzeit überall wieder, sei es in der erfolgreichen Roman- und Filmserie „Hunger Games“, der aus dem Boden stampfenden Battle-Royale-Spiele oder den vielen Castingshow-Formaten. Das K.-o.-System scheint bei Jugendlichen zum Dauerthema zu werden und damit vielleicht auch zum (Über-)Lebensprinzip. Wenn ich mich so umschaue, dann kommt es mir so vor, als würde der Neoliberalismus gerade erst so richtig bei den jungen Menschen ankommen: Stärke zelebrieren, bloß kein Opfer sein und die Eltern mit pompösen Abifeiern schocken. – Aber da habe ich mich wohl wieder in meiner allzu kritischen Haltung verrannt. Ist doch alles nur ein Spiel, mag man da einwenden. – Aber die Kämpfe auf den Schlachtfeldern dieser Spiele sind wenig sublim. Die Gewalt soll vor allem phantasievoll und effektiv sein, bald bitteschön auch alles in Virtual-Reality-Qualität. Bei dieser Art von Gladiatorenkämpfen und der schieren Masse, mit der sie in den Kinder- und Jugendzimmern landen, wird mir einmal mehr Angst und Bange.
Und wenn mir die Bezeichnung „Kriegsspiele“ allzu abwegig erscheint, dann spreche ich lieber von Kriegs- und Kampfsimulatoren. Sie sind in ihrem Hyperrealismus von den vom Militär produzierten Programmen kaum mehr zu unterscheiden und werden bisweilen sogar kollaborativ für beide Zielgruppen produziert. Wahrscheinlich gilt auch für Soldaten, dass sie dann am besten sind, wenn sie (Spiel)-Spaß an ihrer Arbeit haben. Irgendwie passt dazu, dass die Kriegswahrscheinlichkeit wegen zwei verstörter Kinderseelen hinter den Masken böser Clowns gerade wieder mächtig steigt.