Romane gehen noch. Aber obwohl ich es liebe, Zeitung zu lesen, schaffe ich es kaum, konzentriert einen Artikel von vorne bis hinten durchzubekommen. Das gilt nicht nur für die ganz langen Artikel. Da lese ich häufig den Anfang, suche dann nach einem Abschnitt, auf den sich die Überschrift bezieht, und dann den letzten Absatz. Das gilt leider auch für sehr kurze Artikel. Ich ertappe mich dabei, wie ich einfach drauf schaue, den Text durchscanne und mir Informationen raushole, ohne einen einzigen Satz ganz gelesen zu haben. Das hat nichts mit Multitasking oder dem Hyperfocus von ADHS zu tun, sondern ist einfach nur zerstreut und dumm.
Wie schrecklich, ich habe das Lesen verlernt. Ich mache mir nicht mehr die Mühe, den Gedankengängen konsequent zu folgen. Lasse mich nicht mehr richtig ein. Fehlt mir die Konzentration für journalistische Narrative, die Geduld, die Ruhe oder schlicht und ergreifend einfach nur die Zeit? – Mag alles stimmen. Aber ich bin mir sicher, dass es im Kern an etwas anderem liegt.
Es sind die Lesegewohnheiten im Netz. Die Zeiteinheiten und damit auch die Texte, die wir im Internet konsumieren, sind immer kürzer geworden, wenn sie überhaupt noch die Bezeichnung Text verdienen, also nicht nur aus Textbruchstücken und Emojis bestehen, von der Dominanz der bewegten und unbewegten Bilder ganz zu schweigen. Wenn wir uns durch Social Media und andere Websites durchscrollen, dann erfassen wir in kürzester Zeit, ob uns etwas interessiert oder nicht. Wir überfliegen Bilder, Zeichen und Worte, wobei die Worte immer mehr an Einfluss, vielleicht auch an Bedeutung verlieren. Die Involution der Sprache könnte man das auch nennen, klingt netter als ein ernsthaftes Anzeichen für die Regression des Geistes.
Nach dem schon das Querdenken in Verruf gekommen ist, hadere ich nun mit dem Querlesen. Ich befürchte, dass die digitalen Lesegewohnheiten längst auf den Umgang mit analogen Printmedien übergesprungen sind. Dass die Aufmerksamkeitsspannen und die Texte überhaupt immer kürzer werden, ist ein Fakt. Wenn ich selbst mir aber aus journalistischen Artikeln immer nur die Rosinen herauspicke, dann bewege ich mich vielleicht auch im analogen Diesseits in einer Filterblase. Wenn ich komplexen abwägenden Argumentationssträngen nicht mehr folge, dann fordere ich mich auch nicht mehr genug zu einem Denken heraus, das mich selbst in Frage stellt und mir eine differenzierte Meinungsbildung möglich macht. Das müsste ich mir jedoch selbst abverlangen, wenn ich nicht eigentlich immer nur nach Bestätigungen meiner eigenen Meinung suche.
Verdammt ich will mich nicht in einer Blase bewegen und mich einfach nur immer versichern, dass meine Meinungen und Haltungen die Richtigen sind. Ab sofort, lese ich jeden Artikel von Anfang bis Ende, für den ich mich wohl kuratiert und bewusst entscheide. Ich will wieder Lesen lernen. Vielleicht geht es Ihnen liebe Leser*innen ähnlich. Habe versucht, mich kurz zu fassen und bedanke mich für die Mühe.