Digital Natives und Digital Immigrants gegeneinander auszuspielen, geht gar nicht. Allein die Begriffe machen in diesem Zusammenhang schon wenig Sinn. Normalerweise bezeichnen wir Eingeborene nicht als fortschrittliche Avantgarde, sondern als ursprünglich, naturbezogen und im Zweifelsfalle rückständig. Und Immigranten sind im besten Falle Menschen, die sich – wenn man sie lässt – in die Lage versetzen, in zwei unterschiedlichen geographischen und kulturellen Lebensräumen zurechtzufinden. Wenn Migration gelingt, dann macht dies Menschen mental stärker, weil sich ihr Horizont weitet, weil sie sich in verschiedenen Sphären bewegen können, weil sie in der Lage sind, zwei Sprachen und Kulturen in sich zu vereinen. Diese individuelle Integrationsleistung kann aber nur gelingen, wenn Migration auf ein wohlwollendes Kollektiv stößt.
Diejenigen, die sich als Eingeborene des Cyberspace fühlen, verhalten sich gegenüber denjenigen, die sie naserümpfend als digitale Immigranten titulieren, nicht selten alles andere als integrativ. Die Mythen, die sich um die immer noch ziemlich junge digitale Revolution weben, sind ziemlich naiv – als könnte man wirklich im Netz zur Welt kommen.
Menschen werden zuallererst in analogen Körpern gezeugt und in eine analoge Umwelt hineingeboren. Sie sind zunächst vollkommen auf unmittelbare menschliche Zuwendung angewiesen, die vor allem im körperlichen und emotionalen Sinne zwischenmenschlicher Natur ist. Das lässt sich ebenso wenig digitalisieren, wie die entscheidenden Aspekte von Pflege von Kranken und Sterbenden. Genau in diesen Situationen beweist sich allerdings Menschlichkeit. Wenn der Kult um die Digital Natives, die immer mehr zu Digital Junkies zu werden drohen, dazu führt, dass wir immer mehr verdrängen, was wir Menschen am Anfang und Ende des Lebens wirklich brauchen, wenn wir meinen auch noch die Kindheit und das Alter zu virtualisieren und robotisch versorgen zu können, dann gute Nacht du schöne diesseitige Welt.
Unser Technikglaube hat uns im Rahmen der industriellen Revolution schon einmal unseren Planeten ruiniert. Mit der digitalen Revolution drohen wir vielleicht nicht nur die Lebensbedingungen im Hier und Jetzt buchstäblich aus den Augen und dem Sinn zu verlieren, sondern auch unser geistiges Klima und unseren gesunden Menschenverstand. Die aktuelle Flüchtlingskrise, die Migrationswelle, die wir gerade unmittelbar erleben, könnte uns in dieser Hinsicht den Sinn für das Wesentliche zurückgeben. Blicken wir auf von den Berichten von der Flüchtlingskatastrophe, mit denen uns unsere Bildschirmmedien versorgen, und handeln an Ort und Stelle mit Herz und Hand. Wenn uns Medien zum humanitären Handeln zwingen, wenn sie dabei helfen Flüchtlingsfamilien, die sich über den Globus hinweg verlieren, mit ihren Angehörigen und ihrer Kultur in Kontakt zu bleiben und wenn sie dazu dienen, sowohl den Einwanderern als auch den Eingeborenen dabei dienen, die jeweils andere Sprache und Kultur kennen- und verstehen zu lernen, dann könnten wir zeigen, dass die Schöne Neue Welt der digitalen Medien am Ende doch noch der realen Welt dienlich und nicht zum sinnentleerten Selbstzweck wird. Dann brauchen wir auch die sogenannten digitalen Eingeborenen und Immigranten nicht mehr gegeneinander auszuspielen. Und die digitale Revolution wird anstatt zu einem Projekt der Weltflucht zu einem der Weltverbesserung. Schön wär’s.
Bert te Wildt