Der erbärmliche Zustand der Schulen in unserem Land fiel mir bereits als Kind unangenehm auf. Nicht nur mein Gymnasium sah ziemlich runtergekommen aus. Anstatt zu renovieren wurde ein Pavillon nach dem anderen angebaut. Auf dem Schulweg nachhause, vorbei an den öffentlichen Gebäuden und Geschäftshäusern der Stadt, dachte ich mir schon: Das sind wir Kinder unserer Gesellschaft also wert. Seit ich in meine Heimatstadt zurückgekehrt bin, muss ich feststellen, dass sich daran auch 25 Jahre später nichts geändert hat, ebenso wenig wie an dem beklagenswerten Zustand des Schulsystems selbst.

Schon lange wird gefordert, dass es doch bitteschön die Bundespolitik richten solle. Dafür gibt es tatsächlich gute Argumente. Schützenhilfe meint die Bundespolitik allerdings nun auf eine viel fundamentalere Weise leisten zu müssen. Die sogenannte „Bildungsoffensive für die digitale Wissensgesellschaft“ stellt in letzter Konsequenz die Verortung von Schule im analogen Raum in Frage. Es wird gefordert die Schulbildung frühstmöglich zu computerisieren und zu vernetzen, wenn die Kinder schon nicht direkt ins Netz hineingeboren werden können. Ansonsten stünde zu befürchten, dass sie den Anschluss an die digitale Weltwirtschaft verlieren. Dies geschieht mit viel Getöse und mit freundlicher Unterstützung der IT-Industrie, der die Schulen tüchtig zuarbeiten mögen. Die IT-Industrie darf damit rechnen an der Eroberung des Bildungsbetriebs noch mehr verdienen zu können. Längst greift sie auch nach Kindergärten und Kitas. Denn auch die Daten, die Schüler und Lehrer in den Schulen hinterlassen, werden bereits zu Geld gemacht. Kommerz und Werbung im Schulbetrieb waren bislang tabu. Das ist inkonsequent, wenn Schule Heranwachsende vor allem auf den Wirtschaftsbetrieb vorbereiten soll.

Für die radikale Orientierung an der digitalen Revolution sorgen bald die Schulen selbst. In einigen europäischen Ländern wird bereits diskutiert, das Schreiben mit der Hand in Frage zu stellen und gleich mit dem Tastaturschreiben zu beginnen. Und in asiatischen Ländern wird schon mit Robotern, die  Lehrer ersetzen, experimentiert. Vielleicht geht es gar nicht so sehr darum, die Schule in ihrer bisherigen Form zu verbessern, sondern sie völlig zu ersetzen. In letzter Konsequenz läuft die Entwicklung auf eine automatisierte Schulbildung hinaus, die auch von zuhause aus möglich wäre. Das würde viele Kosten sparen. Die Folgen sind absehbar. Der sich daraus ergebende Beziehungsverlust sowohl zwischen Lehrern und Schülern als auch zwischen den Schülern untereinander wäre fatal. Je jünger die Schüler, desto mehr ist Erziehung und Bildung abhängig von unmittelbarer, medial unverstellter Beziehungsarbeit von Eltern und Lehrern. Das Wirkprinzip Beziehung haben Pädagogik und Psychotherapie gemein. Dies dürfte auch der Grund sein, warum es keinesfalls ausreicht, Kindern und Jugendlichen in wenig privilegierten gesellschaftlichen Schichten und Regionen ein Laptop mit Lernsoftware in die Hand zu drücken, in der Hoffnung, dass es damit den Anschluss an die globale Weltwirtschaft von allein findet. Derweil schicken immer mehr Reiche ihre Sprösslinge auf Privatschulen, die im Hinblick auf Mediennutzung einen vergleichsweise restriktiven Kurs fahren.

Bislang dachte ich, dass es das oberste Ziel von Bildung sei, ein geistiges Klima zu schaffen und zu erhalten, das ein friedliches Zusammenleben in einer demokratischen Gesellschaftsordnung ermöglicht. Der digitale Griff nach den Schulen ist insofern in einem umfassenderen Sinne beängstigend. Denn wenn alle digitalen Netze zusammen brechen oder von einzelnen IT-Firmen, Diktatoren oder Terroristen beherrscht oder zerstört werden, sind wir dann auch in Zukunft noch dazu in der Lage, mit der Hand zu schreiben und mit dem Kopf zu rechnen, um uns zu organisieren und miteinander eine neue demokratische Revolution vom Zaun zu brechen? Ist es nicht überlebensnotwendig, dass alle Menschen die alten Medientechniken im Repertoire behalten? – Nicht zuletzt deshalb brauchen wir einen analogen Schulbetrieb mit leibhaftigen Lehrkräften, um auch noch in einer digitalisierten Welt eine geistige Verortung zu haben. Ist uns das noch etwas wert? Erschreckend viele Schulen in unserem Land sehen jedenfalls so aus, als hätten wir längst mit ihnen abgeschlossen.