Von der Tageszeitung, die ich lese, verspreche ich mir vor allem, dass Sie mich über die wichtigsten Ereignisse in der Welt informiert und dass sie dabei weitgehend unabhängig von politischer Gesinnung eine sinnvolle Auswahl trifft. Wenngleich ihr das meinem Eindruck nach zumeist gelingt und ich mich in den Kommentaren in meiner eigenen politischen Haltung mal wiederfinde und mal herausgefordert fühle, ärgere ich mich bisweilen über sie, zum Beispiel über unnötig reißerische Überschriften oder schlechte Rezensionen. Manchmal denke ich, dass ich mich mehr an ihr reiben müsste, dass ich zu konform mit ihr gehe. Wenn ich unterwegs bin, lese ich ganz bewusst andere Zeitungen, gerne auch aus anderen Ländern. In der Tageszeitung meiner Wahl erscheint wöchentlich eine Beilage einer amerikanischen Tageszeitung. Darin las ich heute zwei Artikel, die erst auf den zweiten Blick etwas miteinander zu tun haben. Es ging um Facebook und Faschismus.

Der andere Artikel beschäftigt sich mit der Frage, ob wir es von Orban bis Trump mit einer neuen Welle eines globalen Faschismus zu tun bekommen. Der Autor beantwortet die Frage nicht eindeutig. Zumindest aber in dem Moment, wo der Rechtspopulismus, wie er gerade auch in Zentraleuropa aufkeimt, antidemokratische Züge annimmt, müsse man von einer faschistoiden Bewegung ausgehen. Bei Trump sei noch offen, ob er sich an demokratische rechtsstaatliche Prinzipien halten wird, sollte er einmal wirklich an die Macht kommen. Bei Orban beispielsweise aber sei die Grenze wohl überschritten. In jedem Fall aber sei es bemerkenswert, wieviel Zulauf der Rechtspopulisums hat, und ich möchte hinzufügen, wie viele Gesellschaften er zu spalten droht.

Der andere Artikel nimmt sich dem mittlerweile schon nicht mehr ganz jungen Thema Filterblasen an, deren Auswirkungen man früher auch als Facebook effect bezeichnet hat. Es geht darum, dass das Geschäftsmodell der sozialen Netzwerke darauf beruht, dass wir Nutzer inhaltlich und werbetechnisch immer stärker mit dem gefüttert werden, an dem wir zuvor Interesse oder gar Gefallen gefunden haben. Auf diese Weise werden wir in unserer Meinung immer weiter bestärkt, im Zweifelsfall mit groben Unwahrheiten und Polemiken, einfach nur weil wir sie gerne hören wollen. So entstehen nicht nur politische Bewegungen im Netz sondern auch digitale Mobs, die sich gegenseitig aufwiegeln und im Zweifelsfall auf der Straße oder auch auf dem politischen Parkett für radikale Schritte sorgen.

Davon profitieren nicht nur Rechtspopulisten. Die erstaunlichen Erfolge von Bernie Sanders und Donald Trump, die die USA zu spalten scheinen, sind kaum vorstellbar ohne diese Effekte. Dass die kommerziellen sozialen Netzwerke per se einen die Demokratie fördernden Effekt erzielen, das glaubt wohl kaum noch jemand. Im besten Fall bewirkt eine solche Polarisierung, dass sich die Menschen wieder mehr für Politik interessieren, leidenschaftlich diskutieren und sich dazu berufen fühlen, die demokratischen Systeme weiter zu entwickeln. Das haben nicht nur die USA nötig. Dort haben die großen IT-Konzerne allerdings damit begonnen, Tageszeitungen aufzukaufen und gemäß der eigenen Interessen umzugestalten. Der gute alte Microsoft-Konzern hat übrigens gerade seinen selbstlernenden Chatbot namens Tay aus dem Verkehr gezogen, nachdem er in weniger als einem Tag antisemitische und rassistische Parolen verbreitet hat. (Künstliche) Intelligenz ohne Menschlichkeit ist schlicht gefährlich. Ohne das Interesse an einem von denkenden und fühlenden Menschen getragenen Journalismus, der dazu in der Lage ist, unabhängig von politischen und ökonomischen Interessengruppen zu operieren, ob nun analog oder digital, werden wir unsere Demokratien jedoch kaum aufrecht erhalten können.

© Bert te Wildt