Das Unterbewusste existiert nicht, verdammt noch mal! Aber das moniert ja nicht einmal die Korrekturfunktion von Word. Es gibt das Bewusste und das Unbewusste. Wenn es ein Unterbewusstein gäbe, müsste es auch ein Oberbewusstsein geben. Wenn überhaupt, dann würde man ersteres wohl bei den Tieren und letzteres bei den Göttern finden. Aber das sind beides Glaubensfragen. Als tiefenpsychologisch ausgebildeter Psychotherapeut ist es mir ein Graus, dass offensichtlich immer weniger Menschen überhaupt etwas mit der Existenz des Unbewussten anfangen können.

Ich halte es für eine gefährliche Entwicklung, wenn wir unser Bewusstsein für Zeit und Raum verlieren, wenn wir nur noch im Hier und Jetzt oder ewig leben wollen, aber uns nicht mehr als Wesen mit einem biographischen und historischen Bewusstsein, mit Anfängen und Endlichkeiten verstehen, wenn wir das Gespür dafür verlieren, dass wir auch von Licht und Schatten der Vergangenheit geleitet werden, wenn wir meinen in der Zukunft mit Hilfe schierer Willenskraft, die Spuren unserer Vergangenheit überschreiben zu können. Als gäbe es eine Schönheitschirurgie für die Seele. – Unter der Maske der positiven Psychologie können die schlimmsten Fratzen der Depression und Aggression heranreifen.

Dieser Niedergang korreliert offensichtlich mit dem vermeintlichen Siegeszug der Empirie und den Naturwissenschaften, deren Deutungshoheiten aus durchaus guten Gründen den Religionen den Rang ablaufen. Allerdings glauben dadurch auch immer mehr Menschen, dass nichts existent ist, was nicht berechenbar ist. Wir erfassen die Welt nur noch mit Zahlen und erschaffen eine neue digitale Parallelwelt, die ebenso ausschließlich auf Zahlen zurückgeht. Lange dachten wir, dass diese schöne neue Welt nicht nur unser kollektives Wissen und Gedächtnis sondern auch unser Bewusstsein erweitern würde. Heute sieht es ganz so aus, als würde uns das Cyberspace wie psychedelische Drogen zwar unseren Horizont erweitern, aber uns nicht notwendigerweise freier machen. Oder glaubt noch ernsthaft jemand daran, dass uns das Internet, die künstliche Intelligenz und mit ihr die Roboter automatisch bewusster und damit befreiter sein lassen?

Aus meiner Sicht müssen wir uns um den Verbleib unseres Restbewusstseins ernsthaft Sorgen machen. Dies lässt sich beispielsweise daran erkennen, dass unser Alltag immer mehr von Filterblasen bestimmt wird. Es heißt, dass Algorithmen mittlerweile besser als wir selbst erkennen würden, was wir uns wünschen. Nicht nur Amazon, Google und Facebook wissen, wie wir mit Varianten des Immergleichen immer wieder neu verführt werden können. Wir sollen uns dabei dann auch noch besonders wohl und verstanden fühlen. Längst können intelligente Computersysteme auch in sogenannten Smart-Homes anhand unseres Ganges erkennen, wie wir gestimmt sind und welches Licht, welche Musik und welcher Film gerade genau das Richtige für uns sein dürfte. Klingt wie ein paranoider Albtraum, der an Sekten und Hirnwäsche denken lässt.

Jedenfalls wird bei diesen Manövern immer häufiger die Großhirnrinde umgangen. Alles soll so schön intuitiv hier! – Damit ist in erster Linie gemeint, dass man sich über sein Tun nicht wirklich gewahr wird. Den Menschen bei seinen ureigensten Bedürfnissen abzuholen, ist aber nur der erste Schritt, mit dem künstliche Intelligenz aufwartet. Es kann doch am Ende nur darum gehen, die Konsumenten einzufangen, um sie von dort aus und unter Umgehung des kritischen Bewusstseins in eine bestimmte Richtung zu lenken. Das Regiment der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung ist ein Albtraum. Vor diesem Hintergrund erscheint es auch nur als sehr bedingt begrüßenswert, Kinder mittels intuitiver Bedienungshilfen so früh wie möglich an die Computertechnologien heranzuführen. Wenn uns unser Bewusstsein wichtig wäre, dann müssten wir uns klarmachen, dass es gegenüber intuitiven Prozessen Abstand und Reibung braucht. Sonst leitet uns allein der Instinkt.

Der Mensch scheint heute nur zwei Extreme zu kennen. Entweder er sieht sich als hochentwickeltes, aber unfreies Tier, oder als kleiner Gott, der sich am Ende technologisch selbst transformieren und transzendieren kann. Aber als menschlich – nicht nur als Mensch aus Fleisch und Blut sondern auch mit möglichst großem Herzen und Großhirn – scheint er sich immer weniger zu verstehen. Dazu bedürfte es ein nachhaltig ausgeprägtes Bewusstsein dafür, was Bewusstsein überhaupt ist. Herstellen können wir es nicht. Ich bin der Überzeugung, dass künstliche Intelligenz Bewusstsein immer nur simulieren aber niemals selbst entwickeln kann. Das ist nur ein schwacher Trost, zumal ich einige sehr kluge Menschen kenne, die da ganz anderer Meinung sind.

 

Bert te Wildt©