Rita ist tot! – Wir konnten es nicht fassen, als am Ende der vierten Staffel von „Dexter“ die Frau des Protagonisten einem Serientäter zum Opfer fiel. Wie gelähmt blieben wir eine ganze Zeit lang vor dem Bildschirm sitzen. Wir fragten einander, ob Dexter ihren Tod nicht vielleicht doch nur geträumt hatte. Wir schauten sogar bei Wikipedia nach, ob sie denn nun wirklich gestorben ist. Noch einen Tag später waren wir von einer Art Trauer ergriffen, die wir ebenso unangenehm wie bizarr fanden. Kaum zu glauben, wie stark man mit Serienhelden mitfühlen kann. Dexter ist ein Serienmörder, der selbst für die Polizei arbeitet. Ich liebe Serien, bei denen ethische Konflikte von der unmoralischen Seite her aufgegriffen und durchgespielt werden. Wie man auch nach „Weeds“ und „House of Cards“ geradezu süchtig wird, kann ich nur allzu gut nachvollziehen.

Nach den Feiertagen erzählten mir einige Freunde, wie sie sich zwischen den Jahren mit Serien abgeschossen hatten. Anlaog zum Komasaufen bezeichnet man das auch als „Binge-Watching“. Dass vermutlich auch Serien abhängig machen können, liegt nicht zuletzt daran, dass wir sie heute überall und jederzeit in beliebiger Dosis anschauen können. Suchtmittel wirken entweder anregend oder entspannend. Serien gelingt im besten Falle beides. Viele Internetabhängige, die ich behandele, schauen im Internet auch Serien exzessiv, dies ganz besonders dann, wenn sie auf Entzug sind. Eine solche Suchtverschiebung deutet darauf hin, dass Serien tatsächlich auch als Ersatzdroge funktionieren, wie das Substitutionsmittel Polamidon für Heroinabhängige. Bislang sind Internetabhängige allerdings noch meistens von Online-Computerspielen abhängig.

Wenn ich Nicht-Spielern zu erklären versuche, warum Online-Spiele so existenziell abhängig machen können, dann spreche ich meistens auch über Serien: Stellen Sie sich Ihre/n Lieblingshelden/in in ihrer Lieblingsserie vor, einer Serie, bei der sie sich wünschen, dass diese Figur niemals stirbt und die Serie niemals endet, weil sie wie gute Freunde oder gar wie Familie für Sie geworden sind. Stellen Sie sich dann vor, Sie könnten diese Figur quasi als Avatar in einem hyperrealistischen Computerspiel verkörpern und steuern, also quasi selbst spielen beziehungsweise sein. Und stellen Sie sich vor, Sie würden dies nicht nur ein paar Stunden am Tag, sondern fast den ganzen Tag über Monate oder gar Jahre tun. Dann können Sie vielleicht auch nachvollziehen, warum Menschen mit einer Online-Computerspielabhängigkeit, die oft Jahre ihres Lebens mit einem Avatar in einer Parallelwelt gelebt haben, nicht selten suizidal werden, wenn sie einen kalten Entzug wagen oder dazu gezwungen werden. Wer einmal in der räumlichen und zeitlichen Unendlichkeit einer medialen Parallelwelt abgetaucht ist, landet am Ende ziemlich hart auf dem Boden der konkreten Realität.

Wenn es um die Frage nach dem Suchtpotential geht, gelten deshalb Narrationen mit einem Anfang und einem Ende bislang als eher ungefährlich. Das Gesetz der Serie erfasst jedoch gerade alle Formate. Das gilt für den Roman ebenso wie für den Film. Im Kino lässt sich nur noch mit Fortsetzungen von Blockbustern wirklich Geld verdienen. Ähnliches gilt mittlerweile ebenso für Computerspiele. Es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis die ersten Serienjunkies bei uns auftauchen. Auf die bin ich gespannt, werde mich aber davor hüten müssen, mit ihnen nicht in einen Diskurs über Lieblingsserien geraten.

Bert te Wildt©