Bin immer noch etwas berauscht, von der Gamescom im Allgemeinen und einem Virtual-Reality-Trip im Besonderen. Das Spiel war ziemlich simpel, aber das Erleben durch die VR-Brille atemberaubend, aufregend und schön. Immer wenn ich davon erzähle, bekomme ich eine Gänsehaut. Und ich hatte dieser Tage ständig das Bedürfnis von meinem Rausch zu erzählen, während ich auf der Messe eine Online-Ambulanz für internetsüchtige Menschen vorgestellt habe, die süchtig nach dem Leben in virtuellen Welten sind. Mag pathetisch klingen, aber ich habe in die Zukunft gesehen, allerdings auch in die der Internetabhängigkeit.

Augmented reality ist der andere große Trend, der auf der Computerspielmesse jedoch so gut wie keine Rolle spielte. Das Spiel mit den kleinen P-Monstern, die unsere Welt bevölkern, das mich und vermutlich auch die meisten Erwachsenen mit einem Rest Ernsthaftigkeit nur einen Moment lang wirklich interessiert, ist sicher nur der Anfang einer Erfolgsgeschichte, die mit dem Geocashing begonnen hat. Schon vorher gab es ein Spiel, mit dem die Welt von Spielergruppen virtuell erobert werden konnte. Klar, künstliche Monster sind spannender als echte Menschen und virtuelle Verteilungskämpfe aufregender als die Stabilisierung demokratischer Systeme.

Künstliche und erweiterte Realitäten werden das, was wir bisher als Wirklichkeit empfunden und bezeichnet haben, wohl immer weiter verdrängen. Wir wollen etwas Anderes und etwas Besseres als die Realität, mit der wir zu schaffen haben, schon gar nicht allein die Wirklichkeit des eigenen Körpers und seiner banalen Regungen. Krampfhaft immer anders und mehr als man selbst sein Wollen, das sind die Kennzeichen von Hysterie und Narzissmus. Es sind letztlich histrionische und narzisstische Energien, aus denen sich das Mediale speist und seine Verführungskraft bezieht. Im Digitalen haben wir längst durch das Spiel mit Accounts und Avataren eine Ahnung davon bekommen. Hinter ihrem Maskenspiel können wir unseren analogen Hintergrund verstecken, während wir in unserer digitalen Präsenz immer schöner und heldenhafter erscheinen als wir es sind.

Wenn es nun nur noch darum geht, entweder die Welt mit einem virtuellen Film zu überziehen und sie damit durch eine rosa Spielbrille zu sehen, oder gleich ganz in eine virtuelle Parallelwelt abzutauchen, dann hat die Realität, wie wir sie kennen, wohl ausgedient. Ich weiß schon lange nicht mehr, wie ich über das, was ich immer noch als Wirklichkeit bezeichnen möchte, sprechen soll, ohne als völlig rückständig zu gelten. Mir ist schon klar, dass die Realität allein schon philosophisch gesehen demontiert worden ist, bevor VR das Licht der Welt erblickt und auf sich gezogen hat. Schon klar, die menschliche Realität ist immer ein Stück weit virtuell. Und die Erkenntnis, dass der Mensch immer auch in einer geistigen Welt lebt, ist mir selbst besonders wichtig. Aber irgendetwas in mir hegt den vielleicht kindlichen Wunsch, das alle im Zweifelsfall an dasselbe denken, wenn ich von der Wirklichkeit rede. Im Englischen könnte man einfach von „real real“ sprechen, wenn es darum geht, dass etwas wirklich real ist. Das ist schön absurd und führt die Apologeten des digital nativism vielleicht ein wenig hinter die Fichte.

Jedenfalls ist der Kampf um die letzten Bastionen der wirklichen Realität längst ausgebrochen. Das irdische Leben sieht sich einer Invasion von Augmented-Reality-Anwendungen ausgesetzt, bei der die possierlichen Monster erst die Vorhut sind. Viel mehr noch aber wird den Erdbewohnern das Leben in virtuellen Galaxien als alternative Existenzform angeboten. Das klingt nicht zufällig wie zwei Startrek-Szenarien. Wer es noch nicht bemerkt hat: Wir sind längst im Science Fiction angekommen.

© Bert te Wildt