Bald werden wir Psychotherapeuten wohl auch von künstlicher Intelligenz ersetzt. Warum sollten es Bots nicht besser können als wir? Das mit den Gefühlen wird wohl überbewertet. Die müssen wir manchmal selbst simulieren, wenn es uns gerade mal an Empathie mangelt, weil privat nicht alles rund läuft. Und wenn die artifizielle Intelligentsia dann in die Computergehirne von Robotern umzieht, die vielleicht noch biotechnlogisch mit Haut und Haaren überzogen sind, dann haben auch wir Seelenklempner ausgedient. Vielleicht hat bald ohenhin jeder seinen Androiden daheim, der wahlweise alles für uns sein kann, nicht allein FreundIn, PartnerIn und LiebhaberIn, sondern eben auch PsychotherapeutIn. Die Bindung an so eine eierlegende Wollmilchsau des Internetzeitalers dürfte sich als ziemlich eng erweisen.

Tatsächlich ist die Beziehung zwischen Psychotherapeut und Patient das entscheidende Kriterium, wenn es um die Frage nach der Wirksamkeit von Psychotherapie geht. Weitgehend unabhängig von psychotherapeutischen Schulen und Techniken hat sich in Studien immer wieder gezeigt, dass es vor allem die Güte der therapeutischen Beziehung ist, die über den Therapieerfolg entscheidet. Bislang kriegen das Bots noch nicht hin. Aber längst werden Programme entwickelt und angeboten, die Psychotherapie automatisieren.

Solche Programme gibt es unter anderem für Menschen mit Depressionen, Angsterkrankungen und Posttraumatischen Belastungsstörungen. Man wird dann mit vorgefertigten Fragen und Texten angeleitet oder spricht mit einem Chat-Bot, wie beispielsweise Eliza, die die Rolle einer Psychotherapeutin übernimmt. Letztendlich ist es das Ziel, einen versierten Psychotherapeuten zu simulieren, mit dem man sich dann nicht nur schriftlich austauscht, sondern wirklich spricht. Man kennt das von digitalen Assistenten wie Siri & Co. – Wenn diese Technologien flächendeckend eingesetzt werden, dann gibt es bald keine langen Wartezeiten für Psychotherapie mehr, keine Kostendiskussionen und auch keinen Schulenstreit, weil Psychotherapie dann eigentlich immer kognitiv-behavioral sein dürfte. Damit würde ein feuchter Traum von Gesundheitsökonomen wahr. Es ist aber ein Albtraum für Psychotherapeuten, insbesondere für diejenigen mit tiefenpsychologischer Ausrichtung wie mich, die psychodynamisch in und an der therapeutischen Beziehung arbeiten. Denn natürlich ist es etwas völlig anderes mit echten als mit simulierten Gefühlen umzugehen.

Gerade haben wir eine Online-Ambulanz für Online-Süchtige eröffnet. Ob man das verantworten kann, werde ich oft gefragt. Wenn wir die Betroffenen im Netz selbst behandeln, dann wäre das doch so als würden wir einen Alkoholiker in einer Kneipe an der Bar ansprechen, ihn bei einem Bierchen in ein therapeutisches Gespräch verwickeln, um ihn vom Alkohol abzubringen. Es geht uns aber lediglich darum, die Betroffenen mit zwei webcam-basierten Sprechstundenterminen dort abzuholen, wo ihre Sucht entstanden ist, um sie in ein analoges Behandlungssetting zu vermitteln. Wir wollen eine psychotherapeutische Beziehung im Hier und Jetzt stiften und sie eben nicht im Netz selbst ansiedeln oder gar ersetzen.

Je stärker die digitalen Technologien dazu in der Lage sind, therapeutische Beziehungen anzubahnen, zu erhalten und zu festigen, desto besser helfen sie. Das hat sich in diversen Studien gezeigt. Wenn es am Ende darum geht, eine analoge Psychotherapie einzuleiten, oder eine laufende psychotherapeutische Beziehung zu erhalten, obwohl es eine unüberbrückbare räumliche Trennung gibt, können virtuelle Psychotherapieangebote sicherlich hilfreich sein. Das gilt insbesondere dann, wenn ein Klient oder Therapeut umzieht oder wenn eine stationäre Behandlung in einer entlegenen Klinik zu Ende geht und mit einer virtuellen Nachsorge der Transfer in den Alltag erleichtert werden kann. Insbesondere wenn jemand vor Ort überhaupt keine Möglichkeiten hat, einen Therapieplatz zu bekommen, könnte eine webcam-basierte Therapie hilfreich sein.

Aber wir sollten uns nichts vormachen. Auch das beste Videokonferenzsystem kann bislang nicht die Illusion erzeugen, dass man sich wirklich tief in die Augen schaut. Die physische Präsenz ist nicht in allen Belangen digital zu ersetzen, gerade nicht, wo es drauf ankommt, zum Beispiel in der Horizontalen und im Kreißsaal, am Kranken- und Sterbett. Gerade mit den Schwierigkeiten in existenziellen Situationen dieser Art, die eine möglichst unverstellte, unmittelbare und sinnliche Begegnung bedürfen, sind wir Psychotherapeuten tagtäglich beschäftigt. Gerne weiter und gerne offline. Vielleicht bleibt die Psychotherapie hinter verschlossenen Türen am Ende noch eine der wenigen letzten analogen Bastionen von Zwischenmenschlichkeit, im besten Falle einfach weil es die Menschen so wollen.

Bert te Wildt©