Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie mir eine befreundete Künstlerin zu meiner Überraschung erklärte, dass sie mit großer Begeisterung die Autobiographie von Dieter Bohlen lese. Sie tat dies nicht etwa defensiv und mit lustvoller Beschämung, nein sie gab mir das Gefühl, völlig daneben zu liegen, Dieter Bohlen und seine Casting-Show, die damals in der ersten Staffel lief, unerträglich und inakzeptabel zu finden. Sie ist wohl die erste in meinem Freundeskreis gewesen, die in diese Richtung quasi umgekippt ist. Was mir damals wie ein künstlerischer Coup vorkam, scheint mittlerweile Methode zu haben. Viele Staffeln später, in denen nicht nur um die Wette gesungen, sondern auch getanzt, gekocht und gemodelt wird, scheinen die öffentlichen Castings längst in allen gesellschaftlichen Gruppen salonfähig geworden zu sein.

Dies ist mir spätestens dann klar geworden, als ein von mir sehr wertgeschätzter Kollege, den ich nicht zu unrecht für besonders klug, gebildet und menschenfreundlich halte, mitteilte, dass er die Texte der Moderatoren des Dschungelcamps für grimme-preisverdächtig halte. Nun bin ich mir nicht so sicher, ob der Grimme-Preis noch eine Auszeichnung im engeren Sinne darstellt, aber allein die Tatsache, dass der Kollege diese Sendung konsequent verfolgt, hat mich doch erschrocken. Meiner Empörung begegnete er mit der Feststellung, dass der Bildungsdurchschnitt der Zuschauer dieser Sendung wider erwartend hoch sei.

Allerdings war ich es, der uns auf das Thema brachte; ich hatte mich entsetzt darüber gezeigt, dass jemand wie Mathieu Carriére und Rainer Langhans in das Camp gegangen sind. Nun fühlte es sich so an, als wäre auch mein werter Kollege im Dschungel gelandet. Um rauszukriegen, ob ich es hier mit einem Einzelfall zu tun hatte, fragte ich weiter. Der nächste befragte Kollege schaut es sich auch an. Und am Abend fragte ich die Leiterin einer ehrenwerten Organisation, die wissenschaftliche, soziale und kulturelle Projekte unterstützt. Sie deutete an, dass sie es sich auch anschaut, solange es nicht zu eklig werde. Überhaupt hätte wohl jeder eine Leiche im Keller des Privatfernsehens, woraufhin ich zugeben musste, dass ich manchmal Heidi Klums Topmodel-Geschichte anschaue und damit die systematische narzisstische Demütigung bisweilen minderjähriger Mädchen verfolge.

Damit bin ich überführt und offensichtlich Teil des Mainstreams geworden; ob ich mich damit mittlerweile in guter Gesellschaft befinde, sei dahingestellt. Nun müsste ich eigentlich auch damit beginnen, diese Art der Unterhaltung zu verteidigen. Und ist es nicht tatsächlich so, dass durchaus auch wirklich kreative Menschen von solchen Shows unterstützt werden. Heidi Klum – die ich zum Unverständnis meiner Angehörigen nicht unerträglich finde – macht doch in den USA diese Show, wo sie Designer-Talente sucht, findet und fördert. Und gibt es da nicht auch diese Sendung, wo sogar schon bildende Künstler gegeneinander antreten? – Meine Künstlerfreundin – die mit dem Bohlen-Buch – leidet gerade etwas darunter, dass in Deutschland wegen der Krise so wenig Geld für Kunst und Kultur ausgegeben wird. Am Ende rettet vielleicht wirklich noch das Privatfernsehen unsere Kultur.

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