Jahr: 2016
Kameras auf zwei Beinen
Dass wir im Science Fiction angekommen sind, ist ja fast schon ein alter Hut. Wie das im Alltag aussieht, ist bisweilen unfreiwillig komisch, zum Beispiel Skifahrer, die auf ihren Helmen Kameras montiert haben und dabei wie Marsmenschen aussehen. Ausnahmslos Männer scheinen sich so zum Affen zu machen, wenn gleich sie dabei offensichtlich glauben, bei der Evolution ganz vorne dabei zu sein. Ich habe Leute gesehen, die sich ernsthaft beim Skilaufen mit einem Selfie-Stick selbst filmten. Kein Wunder, dass heute weltweit mehr Menschen beim Erstellen von Selfies sterben als durch Hai-Angriffe. Ja, ich schäme mich dafür, dass mich das eher mit Schadenfreude als mit Mitleid erfüllt. Vielmehr noch beschäftigt mich aber die Frage, wer sich das denn alles anschauen soll? Ich gehöre noch zu der Generation, die von mehr oder weniger weit Gereisten mit Dia-Abenden gequält wurde. Aber die paar Schnappschüsse waren harmlos gegen das, was heute der Durchschnittsbürger an Bild- und Filmmaterialmüll produziert. Kameras auf zwei Beinen weiterlesen
Hunger Säen
Mexikanische Bauern, die sich weigerten, gentechnisch verändertes Saatgut zu verwenden, werden immer häufiger von der Agrarindustrie verklagt, weil die von ihnen produzierten Sorten doch ihre Äcker durchsetzen. Vielleicht ist es der Wind. Es wird aber auch davon ausgegangen, dass die Industrie die Samen absichtlich über die Felder streuen, um die Bauern mit Klagen zum Einlenken und in die Abhängigkeit zu zwingen. So oder so, sie sollen für die ungewollte Verwendung des genmanipulierten Saatgutes zahlen.
Indien wehrt sich gerade erfolgreich dagegen, dass der Großteil des indischen Netzes zum Hoheitsgebiet von Facebook wird. Mit dem Gestus der Entwicklungshilfe versucht Zuckerberg das Netz in entlegene und wenig entwickelte Gebiete zu bringen. Dafür sollen alle ausschließlich und nur noch über das Soziale Netzwerk ins Netz gehen. Ähnlich wie Google versucht Facebook mit solchen Manövern zu dem Netz schlechthin zu werden. Die beiden Konzerne befinden sich im Wettlauf um die bisher noch nicht vernetzte zweite Hälfte der Menschheit in der sogenannten zweiten und dritten Welt. Dabei arbeitet Google mit unbemannten Fesselballons und Facebook mit Drohnen, die von Solarenergie betrieben werden, ununterbrochen in der Luft bleiben und ein allumfassendes Netz aufspannen sollen. Längst haben sie Afrika im Visier. Wenn damit ganze Länder in eine ökonomische Abhängigkeit gezwungen werden, dann ist das nicht weniger als eine neue Form des Kolonialismus. Hunger Säen weiterlesen
Kein Unterbewusstsein
Das Unterbewusste existiert nicht, verdammt noch mal! Aber das moniert ja nicht einmal die Korrekturfunktion von Word. Es gibt das Bewusste und das Unbewusste. Wenn es ein Unterbewusstein gäbe, müsste es auch ein Oberbewusstsein geben. Wenn überhaupt, dann würde man ersteres wohl bei den Tieren und letzteres bei den Göttern finden. Aber das sind beides Glaubensfragen. Als tiefenpsychologisch ausgebildeter Psychotherapeut ist es mir ein Graus, dass offensichtlich immer weniger Menschen überhaupt etwas mit der Existenz des Unbewussten anfangen können. Kein Unterbewusstsein weiterlesen
Virale Gamifizierung
„Der Gegensatz zu Spiel ist nicht Ernst, sondern — Wirklichkeit.“ so Sigmund Freud 1907, was nicht notwendigerweise bedeuten muss, dass die Realität der Feind des Spiels ist. Die virtuelle Realität ist ja auch eine Realität, die nicht selten ziemlich verspielt daherkommt. Wenn ich mich mal wieder über das Suchtpotential von Computerspielen aufrege oder der ein oder anderen hyperrealistischen Kriegssimulation abspreche, überhaupt ein Spiel zu sein, muss ich den Spielverderber spielen. Gehört nun einmal zu meinem Job. Virale Gamifizierung weiterlesen
Hass Reden
Ich habe mich schon dabei erwischt, wie ich mir einen Shitstorm herbeigewünscht habe. Ist mir noch nie passiert. Aber seit ich publizistisch unterwegs bin, denke ich manchmal an die Binsenweisheit, dass es nur eine Art von schlechter Presse gibt, nämlich gar keine. Das mag ja für die sozialen Netzwerke genauso gelten. Seit ich mich etwas näher mit dem Phänomen Hatespeech insbesondere im Hinblick auf Medienschaffende beschäftigt habe, denke ich jedoch anders darüber. Hass Reden weiterlesen
Geschichtsversessenheit
Geschichte ist nicht meine Stärke. Aber von Geschichten lasse ich mich im Alltag gerne begleiten, am liebsten indem ich mehrere Bücher parallel lese. Manche bleiben dabei auf der Strecke. Die beiden Bücher, die ich gerade zu Ende gelesen habe, teilen sich die Gemeinsamkeit, in Zeitsprüngen zu erzählen. Das ist nichts Neues. Kaum ein Roman dekliniert heute noch eine Geschichte chronologisch durch. Zum nachhaltigen Erbe der Postmoderne mag es dazugehören, kohärente Geschichten zu vermeiden, ebenso wie man sich darauf verständigt hat, dass es weder Identität noch Realität gibt. Irgendwie komme ich aber nicht ohne die beiden Begriffe aus, dies gerade weil ich mich mit den Wechselwirkungen von Medien und Psyche beschäftige. Mit der Narration geht es mir ähnlich. Ich gebe zu, ich mag die amerikanischen Erzählungen einfach lieber als die Dekonstruktionen, von denen mir die zeitgenössische deutschsprachige Literatur durchdrungen zu sein scheint. Geschichtsversessenheit weiterlesen