Wenn ich einen Vortrag halte, nutze ich wie die meisten oft ein Präsentationsprogramm. Die Zuhörer werden dabei immer mehr zu Zuschauern, wenn ich mit meiner Aufmerksamkeit zwischen Projektion und Publikum hin und her pendle. Wenn jemand dabei auf sein Smartphone schaut, muss ich mich nicht wundern, geschweige denn ärgern. Vielleicht sucht sie oder er ja dann gerade nach Zusatzinformationen, die ich nicht mitgeliefert habe. Die schönsten Erfahrungen mache ich als Referent aber in ungeteilter Aufmerksamkeit, wenn ich mich traue frei und ohne Präsentation oder Manuskript zu sprechen. Schaue ich Zuhörern direkt in die Augen, wenn ich versuche, ihnen etwas zu vermitteln, entsteht so etwas wie Nähe. Das scheint eine seltene Erfahrung geworden zu sein. eye-catching: Schau mir in die Augen, Großer weiterlesen
language matters: Es gibt keinen islamischen Staat
Erst war immer von ISIS die Rede, wie die ägyptische Göttin der Geburt und der Magie. Aber es blieb nicht auf den Irak und Syrien beschränkt. Muslimische Gegner nennen die terroristische Vereinigung auch Daesch, was sowohl als Akronym funktioniert als auch auf ein ähnlich klingendes abwertendes Wort anspielt und damit diskreditiert. Kalifat klingt dagegen irgendwie romantisch nach Tausend und einer Nacht. Ein Verwandter von mir, der in den USA lebt, spricht der Gruppierung den Rang von Terroristen überhaupt ab; die hätten wenigstens ein moralisches Ziel. Er wies mich auf den US-amerikanischen Komiker John Oliver hin, der die ganze Bande in einem Lehrstück politischer Satire in penetranter Wiederholung einfach als Arschlöcher erster Güte bezeichnet. language matters: Es gibt keinen islamischen Staat weiterlesen
digitales Gedankenlesen: No calls, please!
Im Grunde hat es schon mit den Anrufbeantwortern angefangen. Seitdem ist die Kommunikation immer verstellter, missverständlicher und letztlich verlogener geworden. Wer heute Mitte vierzig ist und überhaupt noch einen Festnetzanschluss hat, wundert sich, wenn er darüber von jemandem angerufen wird, der halbwegs so alt ist wie er selbst. Ich habe zwar noch heute ein schlechtes Gewissen dabei, aber ich schaue dann erst einmal, ob ich die Nummer erkenne (Plan A), um dann zu entscheiden, ob ich den Anruf annehmen will. Bei einer unbekannten Nummer neige ich dazu, erst einmal zu hören, wer das ist (Plan B). Umgekehrt ertappe ich mich regelmäßig dabei, dass ich mich freue, wenn ich selbst nur auf einen Anrufbeantworter sprechen kann. So telefonieren wir nicht selten aneinander vorbei. Im Grunde empfinde ich es impertinent angerufen zu werden. Es passt eigentlich nie. Und wenn ich es mir mal wirklich wünsche, dann kommt es nicht dazu. In letzter Zeit habe ich auch kaum noch Zeit, mich mit Freunden live und in Farbe zu treffen. Dann kommt es immer häufiger vor, dass ich mich per Email oder SMS für ein privates Telefonat verabrede. Das mag absurd klingen, passt aber zu meinem durchgetakteten Alltag.
ein Signal: Vor dem schwarzen Bildschirm
Es sind genau zehn Bildschirme, die vor mir schweben. Links außen eine schrottige Doku über echte Polizisten. Daneben quält Dieter Bohlen junge Leute, die unbedingt berühmt werden wollen. Auf dem dritten und fünften Schirm laufen Berichterstattungen über die Anschläge in Paris. Dazwischen Musikvideos. Dann irgendetwas über Bauern. Ich bleibe hängen bei einer Fernsehserie über sechs krebskranke Jugendliche. Daneben irgendeine Folge der Filmserie Die Tribute von Panem, bei denen sich zur Unterhaltung der Zuschauer jenseits und diesseits der Bildschirme zum wiederholten Male zwölf Jugendliche gegenseitig abschlachten müssen. Und daneben verliert eine deutsche Jugendnationalmannschaft im Fußball gegen Italien. Der schwarze Bildschirm, vor dem ich auf einem der 40 Trainingsgeräte auf der Stelle trete, ist wohl kaputt gegangen. Er zeigt „Kein Signal“ an. Den habe ich mir ausgesucht, möglichst weit weg von den Nachrichten. Es erscheint mir als pietätlos hier dabei zuzusehen. Vielleicht ist es ohnehin geschmacklos, an diesem Sonntag Sport zu treiben. Aber ich weise meinen Gedanken zurück, dass uns genau diese Dekadenz zu einem probaten Feindbild macht.
schwarmdumm: Digitale Mobs
Unter einem Schwarm verstehen wir eine unübersehbar große Gruppe an Tieren, die sich wie von einer unsichtbaren Macht in der Masse intelligenter verhalten, als es ihr Einzeldasein erwarten ließe. Dabei geht es in der Regel um Geschöpfe, die im Wasser oder in der Luft leben und denen es dementsprechend an Bodenhaftung fehlt. Sonst wären sie Rudel. Kein Mensch spricht von Hordenintelligenz. Horden von Menschen empfinden wir eher als bedrohlich. Im schlimmsten Fall werden sie zu Mobs, womit wir schon beim Thema sind. Es wäre so einfach, wenn das Internet entweder nur digitale Mobbildung oder Schwarmintelligenz hervorbringen würde. Aber man kann ja nicht einmal davon ausgehen, dass sich nur dumme Menschen zu einem Mob zusammenrotten. Wir sind ja nicht einmal vor Vögeln und Fischen – siehe Hitchcock und Schätzing – sicher. schwarmdumm: Digitale Mobs weiterlesen
auch das noch: Medienachtsamkeit
Nach einem langen, anstrengenden Arbeitstag versuchte ich mich ganz bewusst auf einen entspannten Abend einzurichten. Allein zuhause wollte ich mal alle großen und kleinen Computer links liegen lassen. Ein TV-Dinnner sollte ich mir auch nicht durchgehen lassen, mir sogar das Zeitunglesen beim Abendessen versagen. Ohne Musik geht bei mir allerdings gar nichts. Damit gelingt mir zumindest die Zubereitung von Speisen, ohne dabei zu telefonieren. Viel weiter reichen meine Versuche, den Alltag achtsam und auch mal ganz ohne Medien zu gestalten in der Regel nicht. Aber immerhin langt es, um tief durchzuatmen und beim Kochen so etwas wie Achtsamkeit walten zu lassen. In solchen Momenten kann ich den Alltag mit Muße zelebrieren, was sich bisweilen etwas bedeutungsschwanger anfühlt. auch das noch: Medienachtsamkeit weiterlesen
moderne Nabelschnüre: Von Schnabelbechern und Smartphones
Während eines mittlerweile zwanzig Jahre zurückliegenden medizinischen Praktikums in einer amerikanischen Klinik fiel mir diese Unart zum ersten Mal auf. Während der Visite hielten alle Ärztinnen und Ärzte weiße Pappbecher mit einem Plastikdeckel in der Hand, aus dessen Fortsatz sie unentwegt Kaffee in sich hineinschütteten. Schnabeltassen waren mir erstmals während eines Pflegepraktikums fünf Jahre zuvor begegnet. Heute muss ich wieder daran denken, wenn ich versuche Studenten oder Patienten klar zu machen, dass ich es unangemessen finde, während der Seminare und Therapiesitzungen zu trinken oder zu essen. Ich versuche dann mit Humor auf die wissenschaftliche Erkenntnis hinzuweisen, dass man tatsächlich ein, zwei Stunden ohne Flüssigkeits- und Nahrungszufuhr überleben kann. Dass man abends auch ohne eine Flasche Bier in der Hand U-Bahn fahren kann, behalte ich vorsichtshalber für mich.
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