Dass wir unsere müden und schlaffen Körper in Maschinen hineinzwängen, um fester und stärker zu werden, daran haben wir uns schon gewöhnt. Mir kommen Fitnessstudios immer noch irgendwie falsch vor, seltsam und etwas lächerlich, aber vor allem unmenschlich oder gar menschenunwürdig. Die Bewegungsspielräume werden von den Geräten vorgegeben, weshalb wir unphysiologischerweise auch nur isolierte Muskelpartien trainieren. Wir brauchen uns nur noch anstrengen, unseren Willen bemühen, aber nicht mehr wirklich unsere Bewegungen steuern und gestalten. Das ist so ziemlich das Gegenteil von Tanzen; wie gerne würde ich anstelle dessen Tanzen. Aber nicht erst seit gestern werden die Dinge(r) immer digitaler. Kaum ein Gerät kommt mehr ohne Programm und Bildschirm aus. Ich trainiere gerade an einem digitalen Zirkeltraining, bei dem meine Daten, zum Beispiel meine Gewichtsklassen vorgegeben sind. Auf ein Signal hin, fange ich an zu Rudern, zu Stemmen, beziehungsweise tue ich das, was von diesen Sportarten übrig geblieben ist. Meine Bewegung, die immer nur in eine Richtung vor und zurück geht, wird dabei übersetzt in eine pacman-artige Simulation, bei der ich mit Hilfe von möglichst genauen Bewegungsabläufen möglichst viele Punkte aufsammele. Gamification goes Sport. Weiter entfernt könnte ich mich nicht vom Mannschaftssport und -spiel bewegen. Meine Bewegungen sind also noch mehr vorgegeben als bei herkömmlichen Fitnessgeräten. Ich muss noch weniger nachdenken, einfach nur Kraft meines Willens meine Energie zur Verfügung stellen. Dafür bekomme ich am Ende jeder Trainingseinheit statistische Daten über meine Performance rückgemeldet und werde bestenfalls gelobt. Vielleicht nutzt das System ja etwas von meiner Energie, wie im Film „Die Matrix“, in der die Menschen energetisch gemolken werden, während man sie in einer simulierten Welt bei Laune hält. Ohne mich mit Knöpfen im Ohr musikalisch abzulenken, ist dieses Training für mich auch nicht auszuhalten. Manchmal dissoziiere ich dabei, kopple meinen Körper ab. Seelenloser geht es kaum, wenn ich wie ein Zombie von Gerät zu Gerät wandere.
Kategorie: Kolumnen
Digitale Zivilcourage – Für eine bürgerliche Identität im Netz
Einen analogen Personalausweis mit mir herumzutragen, kommt mir schon lange anachronistisch vor. Auch einen Reisepasse brauche ich kaum, fliege und bewege mich selten außerhalb der EU. Werde so gut wie nie angehalten. Fände es irgendwie charmant, wenn mich mal ein*e Wachtmeister*in nach meinen Papieren fragen würde, aber das passiert nie. Würde mich gerne mal wieder auf diese Weise identifizieren, eben nicht nur als Konsument, sondern auch als Bürger. Letzteres findet im Netz so gut wie gar nicht statt. Wenn ein Kind sich einen Porno anschauen will, muss es in der Regel nur auf einen Bestätigungsbutton klicken, dass es volljährig ist. Umgekehrt kann sich ein Pädophiler in Computerspielen einfach als Kind ausgeben und Kindern nähern. Wie kann das sein? – Ohne groß zu recherchieren, wer das alles schon vor mir gedacht haben könnte, sei dies mal hier rausgehauen: Wir brauchen endlich eine bürgerliche Identität im Netz, mit der wir uns und einander eindeutig und sicher identifizieren können.
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Office @ Home: Das Recht auf einen Platz zum Arbeiten
Was haben wir darum gekämpft, endlich so oft und so lange wie möglich im Homeoffice arbeiten zu dürfen. Nun haben wir den Salat, nämlich zu viel davon. Die Pandemie funktioniert als Katalysator für so einiges. Ob sie die Digitalisierung in unserem Land tatsächlich vorangetrieben hat, mag fraglich sein. Das was die freie Marktwirtschaft währenddessen so an Innovationen fabriziert hat, hat mich bislang jedenfalls nicht umgehauen. Auch die digitalen Lösungen für die Arbeit zu hause sind nicht wirklich neu, ob nun fürs Homeoffice der Berufstätigen oder für die Homework von Schülern. Office @ Home: Das Recht auf einen Platz zum Arbeiten weiterlesen
Menschlichkeit jenseits des Humanismus
Nach Pflanze, Tier und Mensch erleben wir vermutlich gerade die Inkarnation einer neuen Art von Lebewesen, künstliche Intelligenz innerhalb und außerhalb von Robotern. Mit ihnen fragen wir Menschen uns, was den Menschen am Ende überhaupt noch ausmacht, wenn alles Berechenbare, Digitalisierbare, Virtualisierbare am Menschen von den Maschinen erlernt und übernommen worden ist. Was wird bloß von uns übrig bleiben? Oder noch radikaler gefragt: Warum sollten uns die Maschinen überhaupt am Leben erhalten?
Kafka lässt grüßen: Von durchsichtigen Handstaubsaugern und anderen Fruchtfliegenlebendfallen
Scho(e)n anders ist es, auf dem Land zu leben. Mehr Bio als hier geht nicht. Da kann man echt noch was lernen. Im hiesigen Bio-Laden, der gerade sein 50-jähriges Bestehen feiert, wurde ein Produkt angeboten, das mich nachhaltig zum Nachdenken angeregte: Lebendfallen für Fruchtfliegen. Kafka lässt grüßen: Von durchsichtigen Handstaubsaugern und anderen Fruchtfliegenlebendfallen weiterlesen
In eigener Sache: Im Rausch des Realen
Man möge mir diesen völlig ironiefreien Beitrag nachsehen. Es wird eher ein Tagebucheintrag als eine Kolumne. Aber ich befinde mich in einem Rauschzustand, bin frisch verliebt in einen Ort, an dem ich im Hier und Jetzt ankomme, auch wenn man hier auf eine über tausendjährige Kulturgeschichte zurückblickt und die Schönheit seiner Natur völlig zeitlos ist. Hier lässt es sich einfach sein und im Bedarfsfall gesunden. Im Kloster Dießen am Ammersee bei München eröffnen wir jetzt eine Klink für Psychosomatische Medizin. Man möge mir meine überschäumenden Frühlingsgefühle nachsehen, aber ich bin jeden Tag von neuem im guten Sinne überwältigt. In diesem nun zum zweiten Mal in seiner Geschichte säkularisierten Kloster werden Menschen behandelt, die sich von sich und der Welt entfremdet haben, die unter Erschöpfung, Angst und Depression leiden. In eigener Sache: Im Rausch des Realen weiterlesen
Disrupting Mankind: Wir sind Tiere – Wir sind die Roboter
Der Mensch betrachtet und behandelt sich selbst längst wie ein Auslaufmodel. Er merkt es nur nicht, und das hat Methode. Diese Methode versteckt sich hinter einem einigermaßen ungeheuren Paradoxon. Einerseits werden wir nicht müde, den Menschen in seiner besonderen Stellung der Evolution zu demontieren und zum Tier zu machen. Andererseits arbeiten wir mit großem Eifer daran, uns gottgleich zu Schöpfern neuer technikbasierter Daseinsformen zu machen. Zwischen tierischen und transhumanistischen Lebensformen lassen wir die Menschheit implodieren. Disrupting Mankind: Wir sind Tiere – Wir sind die Roboter weiterlesen
Disrupting childhood and old age: Alterslose Kinderlose
Letztens blieb mir zum ersten Mal das Wort kinderlos im Halse stecken. Kinderlose sind diejenigen, die kein Kind auf die Welt bringen und keine Kinder um sich haben, wenn sie selbst der Welt Adieu sagen. Wenn sie die Mitte des Lebens überschritten haben, sehen sie zu, das Lebensgefühl, das sie kurz vor der Lebensmitte hatten, so lange wie eben möglich zu konservieren. Sie arbeiten viel und geben viel aus. Damit sind sie die einzig ökonomisch sinnvolle Existenzform der menschlichen Spezies. Ganz Junge und hoch Betagte können da nicht mithalten. Sie verbrauchen einfach zu viele Ressourcen, ohne in den großen Topf einzuzahlen. Irgendwann wird die Marktwirtschaft – und wir mit ihr – mit ihnen die Geduld verlieren. Disrupting childhood and old age: Alterslose Kinderlose weiterlesen
Ambivalenzdefizit
Die Tage kam ich spätabends auf dem Nachhauseweg an einem vergleichsweise teuren Auto vorbei, das komplett auf dem Bürgersteig stand und dem von einem wütenden Passanten offensichtlich ein ordentlicher Lackschaden beigefügt worden war. Ich widerstand meinem ersten Reflex, einen einzigen Schuldigen ausmachen zu wollen. Dann dachte und sagte ich, dass sich beide schlecht verhalten haben. Aber ich war etwas erschrocken, wie schnell ich mir ein einfaches, einseitiges Urteil hätte erlauben können. In diesem Zeiten scheint mir das symptomatisch zu sein. Ich kann doch auch Kim Jong Un und Donald Trump gefährlich finden und verurteilen. Ambivalenzdefizit weiterlesen
Psychoprothese Smartphone
Sie sind smart, sie sind irgendwie phony und sie haben uns charmant im Griff. Smartphones sind längst zu klettenhaften Gefährten geworden, mit denen uns eine Hass-Liebe verbindet. Ohne sie fühlen wir uns als Singles einsam. Und in der Partnerschaft sind sie eine Quelle der Eifersucht. Alle kennen das irritierende Gefühl, wenn das Smartphone des Anderen alle Aufmerksamkeit von einem abzieht. Die Dinger haben längst eine Art Personen(kult)status erlangt. Wenn nun zu uns flüchtende oder in die USA reisende Menschen – denen es ja aus unterschiedlichen Gründen nicht gut gehen kann – ihre Smartphones abgeben sollen, stellt sich die Frage, wen oder was Sie da abgeben? – Auf diese Frage könnte man als möglichen psychologischen Erklärungsmodelle anwenden. Psychoprothese Smartphone weiterlesen